Im Technikum gab es am 15. Mai 2017 „Unerhört“, eine Produktion der Rapper von EINSHOCH6 mit dem Kammerorchester der Münchner Symphoniker, zu hören, zu sehen, zu betanzen und zu erleben.
Ein kurzer Satz genügt und jeder weiß Bescheid: „Die Stadt springt“. Wie die Zeit auch. Dann ist es soweit. Und das Magnetfeld dreht sich um, und der Stadtaffe übernimmt. Der Groove von Rap, der Groove von Streichern, das ist magic: Das polt einen um und man möchte kopfüber, Räder schlagen, Flic Flac und Looping the Loop und die Wände hoch und den Stadtbullen narren. Sprachlich ist das schon wunderbar, der Stadt das Leben einzuhauchen, den Animus, das Pneuma des Rap.
Die Stadt kurz springend machen, schon lässt sie ihre Verwaltung zurück, wie ein Käfer, der aus einem alten Panzer springt. Springtime! Dass Frechheit so einfach ist! Nein, anders, ja tatsächlich, Frechheit ist etwas Natürliches.
Also die Arme hoch, zumindest für die Illusion- den Zeitsprung eines Konzerts von EINSHOCH6.
2015 hatten die Musiker um die MC´s Kurt „Curtis“ Achatz und Tobias „Tobbz“ Baum zusammen mit den kompletten Münchner Symphonikern in der ausverkauften Philharmonie des Gasteigs die Klangsegel zum Flattern und die Stuhlreihen zum Ruckeln gebracht.
Im Technikum, das sich jetzt schon übt auch so etwas wie ein Werkraum für den neuen Konzertsaal zu werden, sah man bei „die Arme hoch“ etliche Silver Ager mit leuchtenden Augen mitmachen. Ein erster Schritt, nein ein erster Armschwung, auf dem Weg zu schwierigeren Armbewegungen wie Low Rider oder Dab? Vielleicht noch ein Cap oder ein Boanie oben auf die Silberpappel und fertig ist der Silver Rapper.
Die Hände in den Hosentaschen lassen und nur zum Beat nicken ist übrigens auch voll anerkannt. Kurt „Curtis“ Achatz bekennt, bevor es zu weiteren Hits wie „Mensch zum Tier“ und dem neuen Song „Deutschlehrerinnen“, in dem es um seine erste Liebe geht („Du bist die beste aller Deutschlehrerinnäään,… lehn dich zurück“), dass er sich freut, diesmal nicht vor „bestuhltem Publikum“ zu spielen.
Wir stellen uns jetzt nicht vor wie das aussehen mag – bestuhltes Publikum – und geben ihm mal auf jeden Fall recht. Mittelteile vor Refrains, die sich teilweise recht poppig anhören und ohne Armbewegungen der unbestuhlten Fans auskommen, werden immer wieder genial verbunden und ekstatisch aufgeheizt.
Hinzu kommen intensive Linien von Jacob Haas am E-Cello. Schließlich geht es in wummernde Tiefen zurück, in denen die Symphoniker, bestehend aus drei Herren mit silberner Posaune, Waldhorn und Trompete sowie silbernen Schleifen breite Pfundnoten einarbeiten, während die Streicher der Münchner Symphoniker mit scharfkantigen Akzenten dagegen offbeaten.
Klasse auch, wie bei „Alles zieht vorbei“, ein Lied das Kurt „Curtis“ Achatz seinem „Däd“ gewidmet hat, die Symphoniker mit schon fast Goretzki-artigen Sonoritäten das Stück einleiten.
Viel ist schon versucht worden mit der Hinzunahme klassischer Klänge und orchestralem Gestus zu Popmusik und gar zu Rockmusik, von Giorgio Moroder bis zum Streichquintett-Grusel bei Boxveranstaltungen und oft war es nur ein Blend oder einfach gepanscht. Hier wird aber weder gepanscht, um einem klassischem Konsumbürgertum eine ehrwürdige Szenerie zu verleihen noch irgendwie auf Stile-Mix gesetzt. Oder wie der Chefdirigent Kevin John Edusei über „Unerhört“ sagt, dass er eben ein maues Gefühl dabei habe, wenn man dabei von Cross-Over spricht.
Immerhin ein führender Mann der Avantgarde, der zum Beispiel beim Lucerne Festival 2007 Karlheinz Stockhausens Gruppen für drei Orchester leitete. Zweifellos, um mit ihm zu sprechen, etwas Neues, Eigenes, freudig Anarchisches hat da schon begonnen und ist weiter in Progression.
Es ist vielleicht aber auch die sprachliche Kompetenz des Rap, einer kraft Respektlosigkeit innovativen Wortgewalt, die alte Klischees des Pop verlassen hat, seinen Gefühlsbädern entstiegen ist und mit Aberwitz und Übertretung neue Narrative schafft.
Es ist vielleicht aber auch die sprachliche Kompetenz des Rap, einer kraft Respektlosigkeit innovativen Wortgewalt, die alte Klischees des Pop verlassen hat, seinen Gefühlsbädern entstiegen ist und mit Aberwitz und Übertretung neue Narrative schafft.
Gewissermaßen sogar in Permanenz. Hat sich eine Haltung verfestigt, wird sie auch schon wieder verlassen, zumindest in Gestalt ihrer Hipster. „Ich atme dich ein, du atmet mich aus“, singt Kurt „Curtis“ Achatz. Könnte auch das pneumatische Prinzip gegenseitiger Belebung zwischen Symphonikern und Rappern beschreiben. Im Technikum. In der Musikweltstadt München.
Die Tourdaten sowie weitere Infos zu EINSHOCH6 finden Sie hier.
Autor: Michael Wüst
Redaktion: Svenja Charleen Kitow