Entscheidende Wendepunkte der Geschichte zeichnen sich aus, durch das Zusammenwirken von Kunst und Wissenschaft. Die Renaissance mit ihrem absoluten Fürsten ist mit bedingt durch die Entdeckung der Zentralperspektive und die Darstellung der Macht im Bild mit der Welt als Kulisse im Hintergrund. Filippo Brunelleschi begründete 1420 mit einem Camera Obscura-Experiment in Florenz die Berechenbarkeit des Raums auf zweidimensionalen Darstellungen.Er war Architekt. Mit Licht und Architektur beschäftigte sich auch die whitebox während einer knappen Woche bei „Space Unfolding“ vom 8. – 12. Juni. Im weißen Feststoffkörper whitebox mit seinen sechs Säulen trafen sich das Vokalensemble Trondheim Voices, der Sound Designer Asle Karstad und der Lichtkünstler Kurt Laurenz Theinert. An vier Tagen waren die Münchner aufgefordert, der Entwicklung der Performance beizuwohnen, am Sonntag konnte man das oder ein Ergebnis der Arbeit kompakt erleben.
Kurt Laurenz Theinert hat ein Lichtpiano mit Keyboard-artiger Tastatur entwickelt, das es ihm ermöglicht seine Lichtharmonien aufzubauen und zu verbinden – optische Rückungen zu erzeugen. Alles fein in ein Gewebe gestellt aus beweglichen Laserquellen, keine „Washing Lights“ oder Flächen. Die Trondheim Voices, hier in München bekannt auch durch ihren Auftritt 2014 in der Unterfahrt in der Reihe „The Norway of Jazz“ im Rahmen von 200 Jahre Norwegen, gehören zu den wichtigsten Jazzorientierten Gruppen des „Improvoicings“.
Licht und Architektur stehen heute in einem völlig anderen Verhältnis als zu Zeiten der zentralmächtigen Fürsten Europas. Auch wenn man gar nicht so weit zurückgehen muss, denkt man an den ästhetischen Anachronismus in der pathetischen Verbindung von Licht und Architektur, die Lichtsymbolik der Macht bei den Lichtdömen von Albert Speer.
Denn zur Zeit der Nationalsozialisten war ja bereits der Doppelcharakter des Lichts, als Welle und Materie klar. Man kannte die Paradoxien der Quantenphysik, Wahrscheinlichkeit, Zufall und das gleichzeitige Vorhandensein eines Photons an zwei Orten, was man in der Magie die Bilokation nennt. Dementsprechend klar, dass die Performance von Space Unfolding sich im Optionalen der kollektiven Improvisation befand. Die flüssige Architektur der Stimmen kommunizierte mit den Bewegungen der Lichtpunkte und Felder und den Geräuschen von Asle Karstadt.
space unfolding from kurt laurenz theinert on Vimeo.
Es entstanden Überlagerungen, Interferenzen, Auslöschungen und Resonanzen, möglichst nach den Prinzipien der Autopoiesis, der Selbsterschaffung. Dazu ist eine Art meditativer Zustand von Akteuren und Publikum nötig, um im Moment der Kreation nicht den Fallen der Konterkarierung, respektive der Eins-zu-Eins-Abbildung aufzusitzen. Das mag im Einzelnen gelingen, das muss auch individuell verarbeitet werden. Interessant in jedem Fall ist, dass dieses Vorgehen eine Art Klangvorrat optischer und akustischer Art anbietet, der im Kopf des Beteiligten jeweils anders vollendet werden kann. Wenngleich das bei moderneren Klängen ja ohnehin immer der Fall ist. Vielleicht sollte man sich doch noch ein wenig in Bilokation üben. Dann könnte man abends mit seinem Alter Ego diskutieren.