Seit 2012 fand „Schamrock – Festival der Dichterinnen“ bereits fünfmal statt. Das diesjährige Festival hat von Freitag, 23. bis Sonntag, 25. Oktober, als internationale Begegnung der Lyrikerinnen, zum zweiten Mal in der whiteBOX stattgefunden. Fraglich, ob auch eine Stadt vorgefunden worden war, oder doch eher eine Kulisse der Pandemie. Die Internationalität hatte man sich erhalten, wer nicht anreisen konnte, erschien gestreamt.
Auf anämischen Stühlen fanden Maskierte ihren Platz
Mit Mut und Eigensinn war das Festival von Augusta Laar und Kalle Aldis Laar am Tropf gehalten worden und auch Martina Taubenberger von der whiteBOX ermutigte. Zur Begrüssung gab´s Desinfektionsmittel. In sich regelmässig austauschender Umluft standen anämische Stühle, auf denen Maskierte Platz fanden.
Dennoch die Stimmung war keineswegs bedrückt oder leblos. Möglicherweise ist es ja gerade die Lyrik, die sich der Kontaktverfolgung ihrer Denkketten so erfolgreich in ihren ureigenen Konstitutionsprinzipien widersetzt, dass sie den bürgerlichen Appetit auf Konsumierbarkeit zwar anregt, aber nicht endgültig befriedigt. Sie macht es wie der Spaßvogel Hodscha Nasruddin, dem man nachsagte, er verkaufe den Geruch des Essens. Aber wer zuhause sich schadlos sättigen wollte, konnte am reichen Büchertisch der Giesinger Buchhandlung zulangen.
„Ästhetische Theorie“
Vielleicht ist es ja, wie Adorno in „Ästhetische Theorie“ andeutet so, dass Kunst dem Subjekt eher anbietet, in ihr aufzugehen, um sich vom Joch der Konsumation zu befreien. Die Nachverfolgung der Fleischtöpfe führt ins kommunionale Labyrinth der freien Assoziationen, im Zentrum liegt kein gebratener Minotaurus. Begrüssung der stadtoffiziellen Kulissenschieber musste trotzdem sein.
Nach Augusta Laar und Martina Taubenberger erschien die gestreamte 2. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden per Videobotschaft und lieferte die übliche Kulturkonfektion an Gleichstellungshülsen.
Es bleibt nach drei Tagen Lyrikerinnenfestival in schwierigen Zeiten der Eindruck einer lebendigen Ernsthaftigkeit. Büchertisch, virtuelle Präsenz und leibhaftige, Workshops und musikalische Performances, Nachrichten und Positionen zu den Vorgängen in Belarus, Hongkong und Eritrea knüpfen ein Netzwerk, vital und wirklich wie ein doppelter Boden unter der digitalen Artistenkuppel der Ratlosigkeit.
Autor: Michael Wüst