Michael Wüst im Gespräch mit Volker Behrend Peters über Kunst, die sich selbst genügt, Inhalt und Form sowie die richtige Perspektive auf Peters beeindruckende Wachsbilder.
Volker Behrend Peters kam im Herbst 2020 von seiner alten Wirkungsstätte, den Goldberg Studios im Glockenbachviertel, ins Werksviertel. Zusammen mit Wladimir Schengelaja hat er seitdem ein Atelier innerhalb der whiteBOX-Künstlergemeinschaft.
Beide hatten sich in den Goldberg Studios bei mehreren Ausstellungen kennen und trotz ihrer fundamentalen künstlerischen Unterschiedlichkeit schätzen gelernt. Während Wladimir Schengelaja ein tiefer mystischer Taucher ist, der gerne skurrile Exponate aus seinen bewusstseinstiefen Exkursionen mitbringt, hält es der Friese Volker Behrend Peters mehr mit einer gewissen szientistischen, strengen Observanz.
Befreiungen der Kunst. Wo kommt die Freiheit an?
Was seine Arbeit, seine spezielle Art der Erzeugung, respektive der Evokation der Gegenstandslosigkeit angeht, lässt sich Volker Behrend Peters nicht gern den ästhetischen Rebellionen in der Folge der 1910er Jahre mit ihrem Suprematismus, Konstruktivismus oder später der konkreten Kunst zuordnen. Das sei für ihn ja l´art pour l´art , wie er knapp bemerkt. Wir fragen uns, warum dieser Begriff mit dem Siegeszug der Moderne nach dem 2. Weltkrieg immer pejorativer, abschätziger verwendet wurde. Ursprünglich proklamierte er doch, dass Kunst sich selbst genüge und sich keinem äußeren Zweck dienstbar machen dürfe.
Er proklamierte die Unabhängigkeit der Kunst von der auswendigen Welt. Verankert war die Abkehr von der Welt in ihrer Erscheinung schon vorher in der maßgeblichen Literatur des 19. Jahrhunderts gewesen, vertreten durch Gustave Flaubert, Victor Hugo, Charles Baudelaire, aber auch Edgar Allen Poe. Hier kündigten sich bereits die ästhetischen Rebellionen an, die noch vor dem Attentat von Sarajewo und dann mit Beginn des 1. Weltkriegs zum Dadaismus und zur atonalen Musik von Arnold Schönberg führen sollten.
Der freie Markt der freien Kunst gibt die Konturen vor
Was ursprünglich der Befreiung von Biedermeier und Bürgertum diente und im ekstatischen Übersprung die reale Welt gleich mitnegieren wollte, wurde aber nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs dann teilweise der eitlen Leere der Selbstbezogenheit verdächtigt… Warum eigentlich geht jede Rebellion oder Revolution diesen paradoxen Weg und entwickelt sich zum Gegenteil ihres Anspruchs? Die Nachkriegsmoderne, was immer die des Westens meint, gerierte sich erfolgreich darin, mit ihrer neu aufgelegten Ästhetik so zu tun, als bewirkte sie mehr in der Gesellschaft, als der Markt bestätigen konnte.
Auf der Projektionsfläche des eisernen Vorhangs wanderten zitternde Figuren ein, die nichts festhalten wollten, dort entstand vor den Ruinen der Realität die prachtvolle Stadt des sozialistischen Realismus. Die westliche Moderne wurde zu einem Tool des Marktes. Aus dem Zittern der Kurse formte sich die Silhouette des Kurators. Die Lebenswelten der Co-Isolation, in 40 Jahren Neoliberalismus entwickelt, finden nunmehr mit dem Menetekel der Immunität ihre Verwirklichung in einer neuen romantischen Innerlichkeit, die keinen Öffentlichen Raum mehr braucht. Was ist abstrakt? Kann die Kunst abstrakter sein als der Öffentliche Raum, oder ist sie dann schon weg?
Das alte Gerede von Form und Inhalt
Volker Behrend Peters regt sich schon in den 1970er Jahren auf der Hochschule, Fine Arts, in Bremen über die Kritik seiner Lehrer auf, dass er zwischen Form und Inhalt nicht zu unterscheiden wisse. Da beginnt er das erste Mal, die Leinwand mit flüssigem Wachs zu bestreichen, was er erst in den 1990 wieder aufnehmen wird. Im Atelier zieht er einige der schwergewichtigen skulpturalen Bilder aus dem Regal.
Unzugänglich, schwierig, ohne irgendeine Geste der Einladung, allerdings auch ohne eine der Verweigerung. Kein dekoratives Entgegenkommen. Wir müssen aber trotz seines Widerwillens gegenüber klassischen kunstgeschichtlichen Wertungen einsteigen. Also: Form und Inhalt. Oder es sei die „Hyle“, die formlose Materie schon bei Aristoteles im Gegensatz genommen zur Abstraktion als Heraushebung des Wesentlichen eines Gegenstandes. – Eines Wesentlichen, zu dem gehört, dass man es nicht erinnern kann!
Abstrakter Amorphismus? Was ist dann die Quintessenz des Amorphen?
Bei Behrend Peters Bildern bleibt aber alles in Erinnerung, was sich angesichts der ruhenden, verschlossenen Bilder an Assoziationen bei der Begegnung mit ihnen ereignet hatte. Die Konturen in dem sukzessive entwickelten Amorphismus der Wachsstrukturen sind schwach, der horizontale Normalblick auf die Bilder möchte um 90 Grad gedreht werden, um einen Blick aus großer Höhe zu haben. – Um dem Wesentlichen näher zu kommen, um schärfer zu stellen. – Nicht um einen Ausblick, sondern einen Einblick in das amorphe Geschehen, tief unten zu gewinnen. (Es könnte auch tief oben sein.)
Das Wesentliche wird da also erkennbar durch Distanz, durch Entfernung vom Bild. Umkehrung oder Umleitung der Rezeption sind wiederum bedingt durch eine Umkehrung der Produktionsweise: Während klassische Abstraktion, das Freilegen des Wesentlichen, deduktiv geschieht unter Weglassung des Unnötigen und zur Präsentation der grundlegenden Gestalt als Idee führen soll, ist es bei diesen Wachsbildern umgekehrt. Die von der Idee geleitete Abstraktion gleicht einer Technik der Archäologie. So wird beim pergamentenen „Palimpsest“ Schicht für Schicht abgeschabt bis die verdeckte, darunter liegende Botschaft sichtbar wird. Das könnte man hier deduktiv nennen. Das Malen mit Wachs ist aber kein Enthüllen, sondern ein Verhüllen, ein schichtweises Aufbauen des Amorphismus. Ein Maskieren zur Kenntlichkeit?
Als hätte Jackson Pollock mit Wachs gemalt.
Paraffin, ein Abfallprodukt der Mineralölraffination oder Stearin, Rückstand aus pflanzlichen Ölraffinaden wird durch Erhitzen ab 64 Grad Celsius verflüssigt und ist dann etwa so flüssig wie Wasser. Zu diesem Zeitpunkt rührt Behrend Peters auch Pigmente ein. Auf einen robusten Bildträger, sowohl, was Leinwand als auch Rahmen angeht – am Schluss bringt das Wachsbild ein ordentliches Gewicht auf die Waage – wird mit dem Pinsel schnell aufgetragen, das Wachs erstarrt sofort. Raster, geometrische Strukturen werden verfolgt, der nächste schnelle Pinselstrich verbindet sich durch sein heißes Wachs mit der ersten Schicht.
Das kann mehrfach wiederholt werden und gestaltet sich, was Farbgebungen und das Wachstum des Malmittels auf den sich entwickelnden Graten angeht, unter Verwendung verschiedener Pinselgrößen, verschieden und ist nur bedingt beeinflussbar. Es entstehen amorphe Cluster mit korallenartigen Erhebungen, rhizomatisch flächige Netze. Stadtpläne, Wachsbordsteine, Krabbenpueblos. In einer radikal herkunftslosen Abstraktheit ohne Rückbezüglichkeit zu jedwedem möglichem Objekt sind die Arbeiten von maximalem Eigensinn. Die Herkunftslosigkeit provoziert den Betrachter mal zu nervöser Unberührtheit mal zu flutender Assoziativität. Landschaft ohne Land. Ein hügeliges Nichts, eine erstarrte Fluktuation. Denn eines ist sicher: Hauptbestandteil der Materie ist das Nichts. Aber bitte die Bilder nicht über dem Kopfende des Bettes aufhängen oder über der Schlafcouch: Sie haben ein enormes Gewicht.