In der virtuellen Vernissage der whiteBOX-Ausstellung „#systemrelevant“ vom 22.07.2020 betrat der Teilnehmer der Video-Konferenz in der Subjektive der Kamera die Räume der Privatbank Hauck & Aufhäuser. Von braunbeigen Sitzgarnituren schwenkte man mit schrägem Blick zu Malerei, Fotografie, Druckgrafiken. Man fühlte sich ein bisschen wie in der Wohnung eines befreundeten, wohlhabenden Sammlers. Ja, es machte ein bisschen den Eindruck, als erleide die „Flachware“, eingefügt ins Interieur, einen Verlust an Spannung, Attraktion, Merkwürdigkeit. Aber das ist eben so, seitdem kleinformatige Landschaftsidyllen den Lebensstandard der emporkommenden mittleren Beamtenschicht im Biedermeier signalisierten. Da haben es die beiden Objekte, die Gregor Passens, einer der acht präsentierten Künstler der Ateliergemeinschaft whiteBOX, in einen folgenden Raum einstellt, leichter.
In den Bankräumen der Video-Vernissage „#systemrelevant“ sperren Passens Arbeiten sich dem dekorativen Gebot
Sperriger, fremder und eben ungewohnter stehen sie da, die zwei Surfbretter, auf denen vergoldet und versilbert geschnitzte Ornamente aufgebracht sind, wie man sie als Verzierungen und Umrahmungen aus Kirchen des Barock kennt. Sehr ungewöhnlich, aber in seiner Ruhe gar nicht aufgesetzt wirkend.
Man denkt nicht, die Beach Boys seien aus dem Himmel der Wieskirche gefallen. „Barock-Contamination“ nennt Passens die Zusammenkunft von Wogendem. Die überbordend brandende Ornamentik des Barock kontaminiert die Surfbretter.
In der weißen Leere zwischen den Schnitzereien und darum herum wirkt die Form des Surfbretts – Symbol schöner Menschen mit exklusivem Lebensstil – wie ein Segment, wie ein Stück Schale, eingeschnitten und abgenommen von einer weißen Kugel (Frucht?), in deren Innerem Gold- und Silber wuchert. Ein seltsame Mischung aus Prunk und Hedonismus.
Der gelernte Barockschnitzer braucht das Surfbrett, um zu seiner Wellenarbeit zu kommen
Im Ausstellungs-Video „#systemrelevant“ gibt Passens den Hinweis, dass die „gebraucht gekauften“ Surfbretter in Zusammenhang stehen mit seiner aus Brettern geformten Wellen-Wogen-Plastik „Oahu“ (2005) auf dem Regnitz-Kanal, Bamberg, vor einer „Villa Concordia“.
Im Katalog „wake up“, erschienen anläßlich der gleichnamigen Ausstellung („Wake Up“) in der Artothek München vom 14.12.2012-09.02.2013 finden sich profunde Texten von Dominikus Müller und Johan Frederik Hartle. Im Bildnachweis zu Oahu steht: “ Three different platforms simulate gentle waves rolling on the river“. Drei Holzstege mit eng gefügten Brettern, quer gelegt zur Flussrichtung, werfen sich auf dem Fluss zu einer Dreier-Wellenbewegung auf.
- ©Gregor Passens
- ©Gregor Passens
- ©Gregor Passens
Eines Tages war der Unterbau der Konstruktion mit Wasser vollgelaufen und für Passens war die einzige Möglichkeit an sein Objekt zu kommen, von der anderen Seite auf einem Surfbrett hinüber zu paddeln, um ausschöpfen zu können. Der Surfer in der Barockstadt Bamberg. Als Holzbildhauer hatte er die Ornamentschnitzerei, die Gestaltung mit Schleierbrettern, die Faßmalerei, das Vergolden und Versilbern gelernt.
Verlernen, um wiederzuerkennen
An der Münchener Akademie, als Meisterschüler und später auch Assistent von Nikolaus Gerhart, musste er das alles wieder verlernen, wie er sagt. Wasserbewegungen tragen Erzählungen. Wasseryklen stehen für Sinken, Vergessen, Untergang und wiederum dem Auftauchen und dem Wiedererkennen als neuem Erkennen. Der Blick in die Tiefe des Wassers kann ein Blick ins eigene Unterbewußtsein sein.
- ©Gregor Passens
- ©Gregor Passens
- ©Gregor Passens
Passens Arbeiten, selbst die wuchtigsten, sind prozessural auf dem Weg vom Eingangscode zur Neucodifizierung zu lesen. Man denkt an Heideggers berühmten Satz, „was verborgen ist, muss entborgen werden.“ Es geht aber nicht um das Bergen einer alten Formel, einer in die Materie gesenkten Matrix, einer materiellen Gründungs-Konstitution.
Das ist vielleicht gar nicht möglich: Im Weg vom Grund zur Oberfläche verändert sich der Code ohnehin selbst. Im semantisch immateriellen Bereich der Zeichensysteme ist es wieder anders. Symbole müssen aus dem sie konfirmierenden Milieu entfernt werden, um den Blick auf ihre subcutane Zeichentextur zu öffnen.
Attacke auf die Symbolik des Triumphbogens
Zweimal setzt sich Passens mit einem völlig nutzfreien Bauwerk, dem Triumphbogen, auseinander. In einem Triumphbogen kann man nicht wohnen oder arbeiten. Er steht frei, ist weniger als ein Tor, weil er nach beiden Seiten in dieselbe Situation führt. Vor dem Triumph ist nach dem Triumph. Sollte man etwas empfinden, wenn man ihn durchschreitet oder mit dem Auto durchfährt?
Passens stellt einen aufblasbaren Triumphbogen in der Salzwüste der Salinas Grandes in Jujuy, Argentinien, auf. (Triumph, 2006) Auf dem gleißenden Salzboden erhebt sich das verlorene Symbol des Triumphes beim Aufblasen und steht für eine Weile unter dem stahlblauen Himmel in absoluter Vollendung der Nutzlosigkeit. Das Symbol ist nur noch Zeichen und wenn es Fürsprecher hätte, könnte es nur als Symbol der Desillusionierung taugen für ein Stück von Samuel Beckett. Dann fällt der Triumphbogen wieder zusammen.
Während „Triumph“ (2006) augenscheinlich einen reversiblen Vorgang – die Luft entweicht, der Triumphbogen fällt wieder zusammen – inszeniert, stellt „Batterie“ (2008) einen irreversiblen Vorgang extremster Massivität dar. Der über 260 Tonnen wiegende umgedrehte, auf dem Kopf stehende Triumphbogen, der auf dem Campus der LMU Planegg-Martinsried steht, wurde Schicht für Schicht mit Gussasphalt bei 230 Grad vor Ort gegossen.
Er ragt als U in die Luft und sinkt nebenbei langsam in den Boden. Erinnert an die schwergewichtigen Türme, die Albert Speer in Berlin in den märkischen Sand gestellt hatte, um herauszubekommen, ob der Berliner Untergrund für die Monumentalbauten von Hitlers Germania fest genug sein würde.
Auch der 260 Tonnen schwere Klotz „Batterie“ tut nicht viel mehr. Er sendet zusätzlich das in der Sonne schwarz glänzende Zeichen U in die Welt. Was aber hat er gespeichert? Wohl nichts außer einem Zuwachs an Entropie.
Einer Entropie, in der die Illusion der Zukunft fortbesteht? Das mag als Interpretation gewagt erscheinen, aber wir sagen mal, bei der Menge der möglichen Assoziationen, die zu dem thermodynamischen Ergebnis „Batterie“ geführt haben, ist dies eine Variante, auch wenn einer der am schwersten verständlichen Begriffe der modernen Physik, die Entropie (griech. das Umdrehen), eigentlich in der Physik bleiben sollte, bis er dort eines Tages vielleicht auch anschaulich verstanden werden kann.
Aber die Kunst von Passens steckt eben voller Impulsen zum Weiterdenken. Immerhin zeigt schon der Vergleich der beiden Triumphbögen Reversibilität und Irreversibilität, Themen der Entropie. Und in beiden Versionen gerät das Symbol des Triumphbogens in die Krise.
Ein Wellblechhaus mit einem Kamin aus dem geraden Teil einer Dachrinne wird um 90 Grad auf die Seite gekippt und erscheint mit dem nun nach vorne gerichteten Kaminrohr wie ein Tank, ein Panzer mit Geschützrohr. (Caterpillar, 2003)
Politische Bildhauerei oder Bildhauerei des Politischen?
Ein Adler, der Bundesadler nämlich, wie er als Wappentier den Souverän der Staatsmacht im Bundestag symbolisiert wird von Passens in eine Wand in der Münchner Akademie geschlagen, ein negatives Relief. (Made in Germany, 2000) Ein weißer blasser Schatten des erhabenen Symbols, wie eingebrannt. Die Prozedur attackiert ein anachronistisches Symbol der Souveränität, bedenkt man, dass schon Immanuel Kant den Bürger zum Souverän erklärte, für den es allerdings (gottseidank) kein Symbol gibt.
Auch hier will Passens dann noch einmal nachhaken. Mit „Flying Wall“ (2002) bringt er einen colorierten Print des Adlers auf eine Gitternetzplane von 4 x 5 Meter in der Höhe eines Baugerüsts an der Jenner-Bergstation in Berchtesgaden, nahe dem berühmt berüchtigten Berghof Hitlers auf. Von den Ösen der Gitternetzplane führen Abspannseile, in einem Seil endend, herab zur Station der Bergbahn. Das leichte Flattern des Abbildes in der Fixierung wirkt wie das Endergebnis eines Exorzismus in der Nähe der erhabenen Berge.
- ©Gregor Passens
- ©Gregor Passens
Passens sieht politische Kräfteverhältnisse nicht abstrakt. Die Balancen widerstrebender Energien im Politischen, robust oder fragil, empfindet er materiell. Das veranlasst Johan Frederik Hartle im Katalogtext zu der paradoxklugen Bemerkung, Passens denke die Bildhauerei nicht politisch, sondern die Politik bildhauerisch. Eine induktive Annäherung, die Apriori-Urteile umgeht. Er konfrontiert sein materiales System mit der Thematik und beobachtet gewissermassen die Reaktion, um dann zu präzisieren.
Videos, Performances. Darstellende Kunst tiefenpsychologischer Energien
2002 kam er im Rahmen eines DAAD-Auslandstipendiums nach Argentinien, Buenos Aires. Dort lernte er seine Frau kennen und aus dieser Verbindung sind zwei Kinder entstanden, 10 und 13 Jahre alt, die offenbar eine stetige Quelle seiner Inspiration sind. Wenn man sich im Gespräch mit ihm in Richtung Interpretation seiner Arbeiten bewegt oder es versucht, erfährt man wenig, außer, dass ihn die naive Kraft, der Witz und die freche Freiheit der Kinder beglückt und beeindruckt. In Argentinien entstanden auch zwei seiner Videos.
„Wake up“ (2005) versuchte die Nachstellung einer Eruption mit Feuerwerkskörpern in stillen Vulkanen der Anden und „Travestis“ (2003) dokumentierte eine düstere Performance von Transvestiten aus der Stadt auf einem Spielplatz. In der Umkehrung von Spieltrieb entwickelten sich unbewußt in der Zweckentfremdung des Ortes Trieb-Spiele an Wippen und in Rutschen.
Im Video „Holiday on Ice“ (2006) sieht man eine Gruppenperformance In der Justizvollzugsanstalt Ebrach, bei der Strafgefangene im Innenhof der Anstalt auf einem verkleinerten Eishockeyfeld (6×12 Meter) miteinander Eishockey spielen. Das kleine Spielfeld ist martialisch eingefügt in die umgebenden Mauern des Gefängnisses neben einer Kirchenfront.
Es wird deutlich, dass der materialsichere und -mächtige Bildhauer sich generell am immateriellen Begriff der Energie abarbeitet und seien das, wie in den Themen der drei Videos erhellt, psychologische, ja tiefenpsychologische, gesellschaftliche Energien, deren Erforschung, Dekonstruktion und semantische Neubestimmung nur im Bereich des darstellenden Momentes möglich ist, nicht in der Umsetzung in gefügte bildnerische Materialität.
Man denkt natürlich an den von Joseph Beuys eingeführten Begriff „Soziale Plastik“. „Alles musste er im Studium verlernen, was er vorher als Holzschnitzer gelernt hatte“, sagt er zwischendrin. Aber vergessen hat er nichts. Nein, anders: in der Vorwärtsbewegung des Verlernens verwandelte er Sicherheiten, Wertungen, politische Gerüste.
In der Zerlegung tradierter Kontexte, der Entschichtung der Geschichte und der Begriffsvergangenheiten unter Blickwinkeln anderer schräger, unvernünftiger Sichten und mithilfe der Provokation situativer Doppeldeutigkeiten, versorgt sich Passens mit mutierten Variablen der begrifflichen Konstitution und organisiert neu. Geist und Materie.
Autor: Michael Wüst