Okeanos ist in der griechischen Mythologie der die Erdscheibe umfließende Weltstrom und gleichnamig der Gott einer immensen Wassermasse, die für die Griechen bestenfalls zu erahnen war und für uns heute, gute 4000 Jahre später, in großen Teilen noch gar nicht erforscht ist.
Lateinisch continens heißt umgebend, mehr als zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt. Die Erde müsste eigentlich Wasser heißen. Welche Wesen das Wasser bewohnen, auch das der Flüsse, Seen und Quellen, ist bis heute Gegenstand des kreativen Träumens, einer bis in unsere Tage lebendigen Mythologie. Und der Blick ins Wasser ist ein Blick in unser Unbewusstes, davon berichtet die Legende um Narziss und dessen verunglückten Versuch einer ersten Selbstreflexion.
Davon handelt auch die Ausstellung „Breaking The Surface“ der Künstlergruppe „Between Music“. Die „audio-visual art installation“ ist noch bis zum 23. April (Finissage) in der whiteBOX zu sehen. (www.werksviertel-kunst.de)
Die Gruppe „Between Music“ ist in Person der künstlerischen Leiterin Laila Skovmand vereint mit der Gruppe „Aquasonic“, deren fabelhafte Unterwasserwelten wir bereits beim ersten und zweiten Festival „Out of the box“ (2019, 2020) bestaunen konnten.
Wir betreten die dämmrig beleuchtete whiteBOX und gelangen, geführt auf einem durch weißen Stoff parzellierten Weg, in die „Separées“ mit sieben Installationen. Als Auftakt-Installation begegnen wir in „Sirens“ herabhängenden Glasbehältern, in die winzige Lautsprecher immer wieder halb eintauchen und dort zwischen den Welten, breaking the surface, ihre unterseeischen Klänge zur Geltung bringen. Das Medium Wasser hat die Eigenschaft den Schall mehr als viermal so schnell wie die Luft zu transportieren, höherer Druck und Salzgehalt beschleunigen den Wasserschall weiter. Das überfordert nicht nur Odysseus´, sondern unser aller Wahrnehmung.
Die Hydroakustik ist komplex und löst Desorientierung aus. Die niedlichen Gefäße mit ihren hübschen als Lautsprecher:innen getarnten Sirenen können das aufreizend überspielen. Der gefährliche und unwiderstehliche sexuelle Reiz, der Meerjungfrauen und Undinen nachgesagt wird, hat etwas mit einer in der Alchemie thematisierten Problematik des Rex Marinus zu tun. Darauf lässt sich an der nächsten Station „Fossegrim“ eingehen. Fossegrim (norwegisch) oder Strömkarlen (schwedisch) ist ein Halbgott oder Troll, der Geige und Harfe perfekt beherrscht. Er ist gewillt seine Künste weiterzugeben und kann angetroffen werden auf einem weißen Thron in Form eines Ziegenbockskopfes, der sich in einen Wasserfall verwandelt, wenn ihm Fleisch gereicht wird, das an einem Donnerstag zubereitet worden ist. An der Station „Fossegrim“ schauen wir in einen parabolischen Screen, der die Rückseite eines Bassins umrundet. Dort sehen wir den ganz ungefährlich wirkenden Unterwasser-Geiger der Künstlergruppe im Wechsel mit einem gefährlichen, aber toten Fisch. Er hat auch ein Notenblatt vor sich liegen. Die alten Halbgötter, Trolle, Dämonen sind verschwunden. Sind sie Neu-Versunkenen der der Moderne gewichen? Regeneriert sich der Grundplot des Mythos? Möglich.
Fossegrims Dilemma, die höchste Kunst zu beherrschen, aber auf Essensspenden angewiesen zu sein, referiert zu einem zentralen Mythos der Alchemie, dem des Rex Marinus. Der König des Wassers ist eigentlich ein impotenter König, denn sein Reich ist unfruchtbar. Die Welt des Wassers ist eine Welt der Gleichgeschlechtlichkeit, nichts gedeiht oder vermehrt sich. Der Rex Marinus bittet den Philosophen (Alchemisten) Arisleus um Rat. Der empfiehlt dem König der Unfruchtbarkeit, die Geschwister Gabricus (Sohn) und Beya (Tochter) im Kopf des Königs sich vereinigen zu lassen. Beya liebt in diesem Inzest ihren Bruder so heftig, dass der es nicht überlebt. Arisleus und seine Gefährten (Helfer) werden zur Strafe zusammen mit dem toten Bruder in ein dreifaches Glashaus unter Einwirkung großer Hitze eingesperrt. Die Retorte des Alchemisten ist mythologisch geboren, korrespondierend zu dem Feuerofen Nebukadnezars, den schon das Buch Daniel der alten Bibel beschreibt. Was ist die Prima Materia, der Stein der Weisen?
Das fragen sich die Alchemisten und einer, Michael Mayer, Leibarzt am Hof von Rudolf II. im 17. Jahrhundert, prägte den faszinierenden, radikalen Ausspruch: Die Landschaft ist der Spiegel der menschlichen Psyche.
Die audio-visuellen Installationen der Ausstellung, schön und irgendwie verunsichernd, sind nicht didaktisch informatisch, sie erörtern eher im besten Sinne in der Verehrung des künstlerischen Ausdrucks – Was sozusagen eine altphilologische Position in der Moderne ist. Wer die Gegenstände in sich arbeiten und nachfragen lässt, gerät in einen kreativen Dialog mit seinem Unbewussten, diesem Meer, diesem Allumfließenden, wofür die Ozeane selbst gar nur ein Beispiel sein mögen. Alles fließt, nichts ist gelöst.