Im Gastatelier des WERK3 ist mit homegrOWN#9 noch bis zum 29.Oktober eine Ausstellung mit Arbeiten des Malers Wladimir Schengelaja zu sehen.
Wer geübt ist im Dechiffrieren von Versalien-Sonderzeichen-Mix oder irgendwie purzelnden Buchstaben, der kommt zum richtigen Schluss: Dies ist die 9. Ausstellung von Künstlern, die auf dem Gelände im Bereich von Werksviertel-Mitte-Kunst arbeiten, von denen es zurzeit etwa 30 gibt, wie Martina Taubenberger am Sonntag, 15. Oktober, zur Eröffnung sagt.
Wladimir Schengelaja nennt die in ihrem Aufbau ungewöhnliche Ausstellung eine „kleine Retrospektive“. Mit Bildern aus den letzten 25 Jahren, etwa 30 an der Zahl, hat er sich im Prinzip allerdings von der klassischen Hängung verabschiedet. Er hat einen eigenen Raum mit der Materie der Bilder gebaut. Die zusammengeschraubten Arbeiten stehen auf dem Boden, bilden Gänge kreuz und quer und schräg und lassen die kühle Sachlichkeit des Gastateliers im dritten Stock vergessen. Das Herabblicken der Kunstwerke auf den Kunstinteressierten mag er nicht. Die Bilder sind zwar nummeriert, aber nicht in der Reihenfolge wie der Zuschauer typischerweise seinen Weg durch die Gänge findet. Titel der Bilder kann man herausbekommen, wenn man mit einer Preisliste vergleicht, die wiederum nach anderen Kriterien geordnet ist. Eine Katalogisierung wird also schon im Präsentationsaufbau, vielleicht teilweise unwillkürlich, behindert. Keine expliziten Zuweisungen. Keine Anleitungen.
Wer den Vorgaben des Ausstellungs-Irrgartens erst folgt, dann wieder umkehrt, weil er in den Passagen nur Streiflichter mitgekriegt hat, sieht sich auch mit den Rückseiten der Bilder konfrontiert, den Rahmen und der nackten Leinwand – nein, nicht der nackten Leinwand, sondern der von der anderen Seite her verschlossenen.
Der schwarze Spiegel, die Rückseite des Spiegels, das sind Hauptthemen des Malers. Sein Schwarzes Meer, „Black Sea“, manchmal „Blac Sea“, ist verschlossen. Es ist die Schwärze eines Meeres, das sich von der Oberfläche zur absoluten Undurchdringlichkeit hinein in die Tiefe selbst verspiegelt, verschließt. Unter der Undurchdringlichkeit fühlt man die Massivität der Entropie. Aus diesen Tiefen steigt, nur in den zarten Konturen der Imagination angedeutet, „Kuros“, das Bild des frühen Mensch-Gottes der griechisch beeinflussten Kolchis-Kultur auf. Dort in Abchasien, wo Schengelaja in Suchumi die Kunstschule besuchte und später auf die Akademie in Tiflis (Georgien) ging.
Mit seinen „Anascha“-Bildern gelingt Schengelaja es auf eine andere Weise, geistigen Raum körperlich spürbar hinter der Folie der Oberfläche zu versammeln. Die Zeichengitter der skriptoralen Malerei, gebildet aus den Auf- und Abschwüngen des Wortes „Anascha“ proklamieren zwar stets etwas Numinoses, vielleicht ein Heiliges im Vordergrund, lassen dazwischen aber den Blick zu, in den Raum einer vergangenen Zukunft. Einen Blick zurück zum vergangenen Moment eines humanen Aufbruchs, der damals in der Zukunft lag.
Schengelaja imaginiert einen in Urzeiten verborgenen Moment als retrograd erlebtes Morgen der Humanität, damit erzeugt er ein geistig-kulturelles Raumempfinden.
„Anascha“, ein altägyptisches Toponym, wird der Göttin Hathor zugeschrieben. Einen Hinweis auf den Übergang von der ägyptischen Bilderschrift zur alphabethischen Schrift glaubt die Sprachforschung in Sarabit al-Chadim, auf dem Sinai, gefunden zu haben. Dort wurde von kanaanäischen Wanderarbeitern etwa 2000 vor Christus, das Wort „Hathor“ das erste Mal in einer alphabethischen Urform geschrieben. Ein schwebender Zusammenhang.
Mit seiner handwerklich kompletten Palette ist Schengelaja in der Lage mit Zurückhaltung und Zartheit das Flüchtige des Numinosen für uns momentan zu erhalten. Er erlaubt sich keine Interpretation, keine Dechiffrierung, keine Symbole, keine Metaphern. Er ist eher Siegelbewahrer des Unausgesprochenen.