Diese Energie brauchen wir!
Die Winter-WM aus der Wüste konnte trotz zweijähriger Entertainment-Dürre hierzulande nicht die große Begeisterung entfachen. Die Weihnachtsmärkte dagegen waren dagegen trotz heuer knackigerer Wintertemperaturen von Anfang an voll. So voll, vor allem in der Innenstadt, dass manch einer gut beraten war im Osten ins Werksviertel-Mitte zu schauen.
Eine prima Wärmepumpe
Das Lichtermeer des „Zauberhaften Weihnachtsmarkts“ vom letzten Jahr hatte zwar einer derzeitigen Energie-Ebbe Rechnung zu tragen, aber dafür wurde wieder jede Menge geboten. Eine wunderbare, alternative Energiequelle war zu Beginn ein Schluck Blutorangenbrand in Sebastian Rauschers Brennerei „Cosmic Spirits“. Eine prima Wärmepumpe!
Viel Spaß hatten die Familien auf der Echteisbahn beim Schlittschuhlaufen, inmitten der Standl, die darum herumgruppiert waren und die fantasievoll auch anderes boten als Krippenkitsch, der aber schon auch seine Reize hat. Am Stand von Alexandra Baborka, die ihr Atelier in der Alpenstraße 13 hat, konnte man sich auseinandersetzen mit Objekten, die sie aus Isar-Treibholz macht. Es erinnerte Schreiber dieser Zeilen an die Spaziergänge mit seinem kleinen Sohn an unserem geliebten Fluß, wo wir Knorriges und Abgeschliffenes sammelten und zuhause zu Spezialwaffen für die Masters of the Universe zusammenschraubten und -nagelten.
Eine klassisch schöne Winterszene
Wer sich daheim mit den schärfsten Chilis der Welt ordentlich einheizen wollte, fand ein große Auswahl beim Standl von Uncle Spice. Trotzdem, der eisige Wind flatterte in den Hosenbeinen, man schaute sich schon immer öfter nach der „Wally-Bar“ mit ihren flippigen Heißgetränken um, und da konnten wir eben nicht widerstehen und mussten bei „Fang die Nuss“ einen Walnusslikör probieren. Hmh, zusammen mit einem Glühwein, gleich daneben – kann man lassen! Mit einem guten Schluck und jetzt, wo es dunkler wurde, verwandelte gerade die sparsamere Beleuchtung den Markt in eine klassisch schöne Winterszene.
Plötzlich geschieht etwas Aufregendes, Magnetisches
Aber kurz bevor sich alles noch zu einem Charles Dickens-Gemälde des 19. Jahrhunderts runden wollte, geschieht etwas Aufregendes, Magnetisches. Um die Live-Bühne, auf der eine weihnachtliche Seifenblasenfee für die Kinder, sehr zum Vergnügen eines weißen 3-Meter-Wolle-Bärs, ihre schillernden Flüchtigkeiten hervorbrachte, entsteht Unruhe. Auf die nasse Bühne werden Monitore geschubst, Christoph, der Sound-Mann schleppt hektisch aus seinem Standl Mikrophone an und zwei Musiker bauen auf: „The Ferocious Few“ aus San Francisco, gerade zurück von einer Tour in Kroatien. Häh? Das wirkte sehr spontan und das war es auch. Der mit den schwarzen, gegelten Haaren, mit der schwarzen akustischen Gitarre, reißt einen Koffer auf, gibt mir eine Promo-CD und wirft mir noch einen Sticker hinterher, dann zieht er seine Jacke aus und checkt den Sound. Alles geht schnell, es ist kalt. Umso heißer, was Francisco Fernández und Daniel Aquilera an den Drums dann von sich geben. Dieser magische Moment: Wenn man von der ersten Sekunde an spürt, dass hier pure Energie am Werke ist – Rohheit und Poesie, unbändige Vitalität, reiner Rock´n Roll. Die Gitarre spielt Francisco Fernández mit einer betörenden, in den Bann ziehenden Ungelenkigkeit. Wie ein ferner Zwilling von James Blood Ulmer, herübergespiegelt aus einer anderen Welt – der Rockabilly-Welt.
Daniel Aqilera treibt mit Händen und Sticks ein gnadenloses Uptempo voran und Fernández´ Stimme ist von allen guten Geistern aufgesucht, von Woody Guthrie bis Lou Reed. Diese Energie brauchen wir! Kommt wieder Ferocious Few, damit es nicht nur wir waren, we happy few, die euch erlebt haben!
Text und Bilder von Michael Wüst