Freitag Nachmittag, Hochsommer 2021. Man möcht´s nicht glauben: Die Abstandsmenschen der letzten zwei Jahre kommen wieder ihrer liebsten Pflicht nach, sie bevölkern wieder. Die Straßen, Plätze, Passagen und Schanigärten. Und mitten drin im neuen Osten Münchens steht die Freilichtbühne des Werksviertel Mitte, dort wo der Knödel wieder rollt auf dem Knödelplatz. Man bahnt sich mit dem Radl seinen Weg durch das Container Collective, das genauso wieder zum Leben erwacht. Man schüttelt sich den Staub vom Homeoffice von den Schultern und genehmigt sich einen Sommerdrink.
Nach einem langen kulturellen Winter ist das beste eine kräftige Portion Soul für die steifen Knochen
Denn an diesem Freitag, 23.Juli, steht San 2 mit seiner Soul Patrol auf der Bühne. Der Ingolstädter, der nicht vor seiner Eisenbahn im Keller sitzen geblieben ist, setzt sich seit seinem mächtigen Aufkommen vor fast 4 Jahren, für „Rebirth of Soul“ (2015) ein und verspricht seit 2016 mit „Hold on“ auch, sich daran zu halten.
©URKERN2021 / Michael Wüst
Der „solid man“, der in Lehrjahren an der Bay Area und in San Francisco erst die Bluesharp und einen Auftritt als MC bei blues acts wie Bird Leg, Mz Dee und Steve Gannon Band von der Pike auf gelernt hatte, konnte sich schnell auch einer wandlungsfähigen, bluesigen Stimme versichern. Seine Bluesharp, die gerade noch röhrt wie die Dampftröte eines durchrauschenden Zuges, beendet ein Stück mit dem zarten Silberstreif einer einzelnen Note für den Abendhimmel…Auch Timbre und Ausdruck seiner Stimme haben diesselbe Beweglichkeit: von dem rauhen shout von „Hold on“ zum weichen Balladenglanz von „The Joker“: „Cause I’m a picker / I’m a grinner / I’m a lover / And I’m a sinner / I play my music in the sun.“
Blues, Rhythm N Blues, Pop, Jazz, wie geht das alles unter einen Hut
Der bärtige Mann mit dem breiten flachkrempigen Hut setzt einen sinnenden Blick auf und sieht aus wie einer aus Sergio Leones Rumpelkammer, der zum ersten Mal die Steve Miller Band aus der Zukunft gehört hat. Das Rauhbein mit den Boogaloo-Side-Steps à la James Brown könnte man sich genauso mit einem Billie Joel-Song vorstellen.
©URKERN2021 / Michael Wüst
Das Publikum, recht grau meliert, ist in den Sitzreihen bei richtigen Krachern wie „Rescue Me“ und „Born On The Southside“ – auf der CD „The Rescue“ mit fettem Bläser-Honk und klassisch schönen backing vocals – dann schon ordentlich ins Sitzwippen geraten. Deswegen überzeugte San 2 kluger Weise die Leute auf den Getränkenachschub während einer Pause zu verzichten, was gefühlt ohne Enthaltung angenommen wurde. So konnte er sein Pausen-Opener-Medley bringen, ohne dass die Flucht zu den Zapfhähnen einsetzte. Nur mit Drummer Peter Oscar Kraus, der eine fabelhafte hohe zweite Stimme beherrscht und Sebastian Schwarzenberger (guitars), wurden aus dem reichen Fundus von circa 360 Songs, die San 2 für das Medley augenzwinkernd androhte, „Black Bird“ von Herrn McCartney, „Will It Go Round In Circles“ von Billy Preston und „Lady Madonna“ von einer Herrn McCartney vertrauten Band zu Gehör gebracht.
In 80 Takten um die Welt
Da ist der Spielraum, etwas zu vergeigen, schon extrem eng. Bei den drei geht dieser Spielraum tatsächlich allerdings sehr schnell gegen null. San 2 und Soul Patrol ziehen scheinbar nach Belieben Glückslose aus der Wunschtrommel der Pop-Geschichte. Mit Mathias Bublath an den Keys ist einer der gefragtesten Pianisten überhaupt in dieser Raumpatroullie mit an Bord. Vom satten Südstaaten-Hammond-Sound eines Brother McDuff bis zum Synthie-Sound eines Spacecowboys Zawinul und zurück zum schlicht ergreifend klaren Piano ist eine musikalische Tour d´Horizon möglich, die auch mal Bessie Smith begegnen läßt oder in „Good Bye Mary Lou“ kurz an „The Wind Cries Mary“ erinnert. Um all das zusammenzuhalten braucht es einen wahren Atlas am Bass. Das ist Sebastian Giek.
©URKERN2021 / Michael Wüst
Am Schluss wird nochmal der Shuffle-Raddampfer angelassen und zu „Got My Mojo Workin“ ist Schluss mit Sitzwippen: „Shake your legs“ kommt´s von der Bühne und mit einem Ruck ist der ganze Knödelplatz auf den Füssen. Wie man eigentlich diese ganzen Stilistiken unter einen breitkrempigen Hut bringen kann, das denkt keiner in dem Moment. Irgendwo hört man eine Sirene. Ist das David Hasselhoff mit seinem K.I.T.T., der auf seinem Einsatz, zurück zur Zukunft der Nostalgie, vorbeischaut? Schon beim Beginn der Show war sein Thema zu hören gewesen. Oder?