Seit ihrem Auftakt 2017 ist die Bergmesse auf dem Dach des WERK3 ein bewegender Moment des Reflektierens und Innehaltens. Und obwohl 2021 das Regenwetter den Gottesdienst unter freiem Himmel verhinderte, sorgten Pfarrer Schießler und Besucher diesmal eben in der TonHalle für besondere Augenblicke.
Pfarrer Rainer Maria Schießler steht an diesem Sonntag, den 11. Juli, kurz vor 10 Uhr in der TonHalle im Werksviertel-Mitte und plaudert schon mal ein bisschen, während sich die Halle nach und nach mit den Besuchern des Gottesdienstes füllt. Dass dieser überhaupt stattfindet, ist ein erstes kleines Wunder an diesem Tag, denn eigentlich hieß es im Vorfeld immer: Bei Regen keine Bergmesse. Doch da die Eventexperten der eventfabrik München selbst mit nur zwei Stunden Vorlaufzeit im Werksviertel-Mitte mal eben eine neue Location nebst Hygienekonzept aus dem Hut zaubern konnten, fällt der Gottesdienst nicht etwa ins Wasser, sondern wird gar selbst zum Symbol der Predigt von Pfarrer Schießler.
„Wer will, der findet Lösungen“, sagt Schießler. „Sei einfach offen. Probier was aus.“ So lautet das Leitmotiv von Pfarrer Schießlers Ausführungen. Und wenn die Sonne schon draußen nicht scheinen will, dann scheint sie an diesem Tag zumindest musikalisch in der TonHalle, wenn als erstes Lied des Gottesdienstes der Beatles-Klassiker „Here Comes The Sun“ vom Band gespielt wird.
Ein Gottesdienst in der TonHalle: Jetzt ist unsere Party
Rainer Maria Schießler ist bekannt dafür, dass er nicht um den heißen Brei herumredet. Immer wieder spricht er in seiner Predigt die Situation und die Konflikte an, mit denen sich die Kirche aktuell auseinandersetzen muss. Er spricht über fehlenden Priesternachwuchs, leere Kirchen, Kirchenaustritte. Aber er spricht darüber ohne Verbitterung.
Lieber freut er sich über jeden einzelnen, der an diesem Tag den Weg in die TonHalle gefunden hat. Es sind erwartungsgemäß viele ältere Menschen, aber auch Familien mit Kindern und jüngere Leute Mitte Zwanzig. Eine Dame hat sogar ihren Hund mitgebracht „Jetzt ist unsere Party“, sagt Schießler lachend mit Blick auf den besonderen Ort, an dem dieser Gottesdienst abgehalten wird, und der sonst Konzert- und Eventlocation ist.
Bergmesse: Es geht um die Menschen
Der Leidenschaft, dem Humor und der Glaubens- und Lebensweisheit, mit der Schießler predigt, kann man sich nicht entziehen. Schießler bewegt, lässt die Gemeinde lachen, rührt zum Nachdenken an und er spendet Kraft. Da kämpft einer um seine Kirche, denkt man im ersten Moment. Doch hört man Schießlers Worten länger zu, der immer wieder anspricht, dass Gott jeden liebe, egal ob Christ oder nicht, dass Kirche nicht nur in der Kirche stattfinden müsse, dass die christliche Gemeinschaft sich dadurch auszeichne, niemanden auszuschließen, dann wird einem bewusst, dass Schießler in erster Linie nicht um seine Kirche kämpft, sondern um jeden einzelnen Menschen. Aus Liebe.
Jeder Christ hat das Recht darauf, ein anderer zu sein
Der wohl schönste Moment an diesem Sonntag entsteht dann auch, als Schießler von einer Begegnung mit einer Kirchengängerin erzählt, die ihm gegenüber freimütig bekannte, dass sie sich durchaus Veränderung in der Kirche wünsche, aber dass eines Tages eine Frau die Predigt halte, dass könne sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Als Schießler daraufhin hinterfragt, aus welchem Grund es nie möglich sein solle, dass eine Frau oder vielleicht sogar ein schwuler Mann in Zukunft einmal vor der Gemeinde stehen, brandet spontan ein befreiender Applaus in der TonHalle auf. Jeder Christ habe ein Recht darauf, ein anderer zu sein. Die Kirche habe ein Recht darauf, eine andere zu sein, hatte Schießler zuvor schon angemerkt. Es scheint, als ob er mit dieser Auffassung längst nicht mehr allein dasteht.