Noch einmal Non-Opening! Schon zum fünften Mal gab es am 31. Januar ein überragendes Konzert in diesem Raum zu erleben, den es eigentlich immer noch nicht gibt und der damit zum fünften Mal wieder (nicht!) eröffnet wurde. Das geht. Und wie das geht! Es trägt den Charme des Unfertigen, des Übergangs in sich, das schätzt eine gewisse Szene. Der Weg zum Nicht-Ort, zum U-Topos, muss sich herumsprechen. Bereits vergangenes Jahr im April hatte hier ein begeisterndes Konzert des Munich Composers Collective (MCC) stattgefunden.
Im WERK1.4, Erdgeschoss, hinter großen Fenstern, am südöstlichen Ende des Werksviertel-Mitte, dort, wo man schon die Fassungen für zukünftige Beleuchtung von der Decke hängen sehen kann, wo der Sichtbeton sich noch selbstbewusst in schlichter Schichtung zeigt, an diesem absolut nicht-smarten Nicht-Ort, spielte zum zweiten Mal die wunderbare Big Band der komponierenden Studenten von der Münchner Musikhochschule. Die schlanke Big Band des MCC – schlank, gemessen an den Maßstäben der Swing-Ära – mit 18 Teilnehmern, inklusive ihres „Profs“ Gregor Hübner, entstanden an der Musikhochschule, hat einige Besonderheiten schon in der Orchestrierung. In der Wood Wind-Section ist die Bassklarinette fix gesetzt. Zusammen mit der Basstuba und zwei Bässen, dem Double Bass und dem E-Bass ist das tiefe Register reich bestückt. Neben den Blech-Bläsern, zu denen zwei Trompeten und eine Posaune gehören, ist ein Streichquartett integriert mit zwei Violinen, einer Bratsche und einem Cello. E-Gitarre, E-Piano, Schlagzeug, Electronics und Gesang vervollständigen.
Dieses Orchester ist in der Lage, sich elegant und überraschend zu verwandeln, es erscheint wie ein akustisches Kaleidoskop. Der nackte Raum leuchtet, changiert, öffnet sich zu wunderbaren, manchmal luziferischen Abgründen. Virtual Reality oder Kunst in Reinkultur. Es entsteht in den Herzen der Wahrnehmenden das Bild eines eigenen Wesens, einer intelligenten, theatralen Musikmaschine, eines Transformers der musikalischen Räume: Klänge verwandeln sich im Fluss, auch abrupt, rockig, manchmal steinschlagartig, werden dann wieder gewendet, gespiegelt und in einer Reprise erneut zurückgestellt in die Urposition, wenngleich mit geändertem, geläutertem Charakter. Am Ende eines romantischen Purgatoriums zeichnen neutönerische, fiebrige Skelette Kontur, wenn der Nebel der Schlacht sich verzieht.
Zu Beginn stehen die Musiker im Rücken des Publikums und wandern dann auf ihre Plätze. Unendlichkeit und Unfassbarkeit der Kombinationen erzeugen den Eindruck des Immergleichen, in dem aber alles enthalten ist. Immer wieder rennt das Streichquartett in unisono tremolierenden Attacken gegen die Barrieren des Regelwerks, gegen die Ordnung des Digitalen. Das hart rockende Schlagzeug treibt neutönerische Kadenzen in wiederholten Wellen auf einen Höhepunkt zu. Da erzwingen schließlich unerbittliche Ostinato-Akzente der Streicher in einem rauschhaft farbenprächtigen Turnaround den Zusammenbruch, absolut orgiastisch. Lange Pause. Fast augenzwinkernd, vielleicht resigniert heiter, beginnt dann von Neuem in der Art eines Aftermath-Sirtakis der Zyklus. Klar wird jetzt in diesem zweiten Teil, dass nunmehr der Schöpfer des Systems der Mensch ist. Er ist der wieder designierte, humane Kreator, der mit dem Mandat, das er aus der Schönheit des Zusammenbruchs erhalten hat, die Schleier der Komplexität gelüftet hat. Er hat die innewohnenden Gegensätze in eine dialektische Kommunikation gebracht. Es wirkt wie die Proklamation der natürlichen Kunst-Intelligenz – das Thema im Finale, aus dem Zusammenbruch geboren, wie ein Fanal. Heraldische Schönheit.
Ganz anders geht es weiter. Monika Roscher studierte Komposition und Jazzgitarre, ebenfalls an der Münchner Musikhochschule, 2011 gründete sie ihre eigene Big Band, die Monika Roscher Bigband. Dort und in anderen Formationen tritt sie auch als Sängerin auf.
„Witches Brew“, eine 6-teilige Suite aus der im Mai 2023 erschienenen CD „Witchy Activities and Maple Death“, beginnt mit Roschers dringendem, manchmal flehentlichem Gesang. Es ist Eile geboten. Die Bläser repetieren in torkliger Burleske, die ganze Szene ist ein Rundum der Wildnis, des nächtlichen Waldes. Aber Roscher ist weniger eine der „weird sisters“ aus Shakespeares Macbeth, sie rührt nicht Fledermaushaar, Ziegengall, Türkennasen und Molchaug in den schmierigen Kessel, sie ist eher eine sinistre Elfe, die den ganzen Hexenwald erweckt. Das Motto der „weird sisters“ „Macht die Runde um und um/Krumm ist grad und grad ist krumm“ gilt umso mehr. Ob am Anfang hinter einer aufgeregten Posaune die rhythmischen Ebenen ineinander brechen oder später, wie im „Schloss im Spinnwebwald“ von Akira Kurosawa, die Motive sich auftrennen und unter gleichzeitigem, grünspanigen Gepolter der Bläser in verschiedenen Ecken des Orchesters sich verknoten, die Komposition hat keine eindeutige Richtung, wie die Natur hat sie keine Achsen, alles ist Geflecht, Geweb. Sehr plastisch, sehr suggestiv, sehr filmisch.
Autor: Michi Wüst
Titelbild: Munich Composers Collective, Flüsterkneipe, Photo (c) Ralf Dombrowski