Zum Hauptinhalt springen
Blog
  • Magazin

Valérie Tisserand Siedler im Werksviertel

Das Werksviertel-Mitte versammelt die unterschiedlichsten Menschen. Künstler und Lebenskünstler, Denker und Philosophen, Anpacker und Müßiggänger, Musen und Musiker, Kreative und Freigeister. In unserer Reihe Werksmenschen stellen wir einige dieser Persönlichkeiten vor und gehen der Frage nach, was diese Menschen bewegt und was sie im Werksviertel-Mitte bewegen.

Valérie Tisserand nimmt sich gern Zeit für ihre Kundinnen. Copyright: Ivana Bilz, 2023

Eine Zahntechnikerin, die sich ihren Traum erfüllt, und mit ihrer besonderen Fingerfertigkeit Schmuckdesignerin und Künstlerin mit Schiffscontainer-Atelier wird, statt tagein tagaus Zahnersatz in Form zu bringen. Das könnte der Stoff für einen ebenso ans Herz gehenden wie kitschigen Arthouse-Film sein. Es ist aber tatsächlich – stark verkürzt natürlich – die Lebensgeschichte von Valérie Tisserand.

 

Ihre Geschichte: Die Französin kam vor Jahren der Liebe wegen nach Deutschland. Vier Kinder zog sie gemeinsam mit ihrem Mann groß. Und wenn man so will, dann ist eines dieser Kinder auch daran schuld, dass Valérie mit ihrem Atelier im Werksviertel gelandet ist. „Ich habe meine Tochter zu einem Fußballspiel gebracht und bin dabei an den bunten Schiffscontainern im Werksviertel vorbeigekommen. Ich wusste sofort: Da will ich hin.“ Sie ergriff die Gelegenheit beim Schopfe, fragte an, ob sie in einem der Container ihr Atelier einrichten könne, und bekam eine Zusage. So begann ihr Leben als Künstlerin, das wohl eigentlich schon immer in ihr steckte. Ihre Eltern waren in handwerklichen Berufen tätig und sie selbst sammelte unbewusst durch die Arbeit mit den Zahnkeramiken viele Fähigkeiten, von denen sie heute als Künstlerin profitiert. Die Konzentration, die Genauigkeit, der Umgang mit Farbe, das Formen.

Copyright: Ivana Bilz, 2023
Die handgeschmiedeten Blätter einer Blumenskulptur wiegen sanft im Wind. Copyright: Ivana Bilz, 2023

In ihrem Container bietet sie selbstgemachten Schmuck an, verschiedene Bronzeskulpturen und einige ihrer Bilder. Sie malt vor allem mit Öl. „Ich arbeite langsam. Ich brauche im Kreationsprozess den Abstand“, sagt Valérie. Mit Acrylfarben, die eine andere Geschwindigkeit von ihr verlangen würden, malt sie daher nicht so gern. Valérie sieht sich aber nicht nur als Künstlerin, die nur in ihrer eigenen Welt für sich lebt. Sie ist auch Dienstleisterin. Zum Beispiel fertigt sie Altschmuck ihrer Kunden nach deren Vorstellungen um oder passt ihn an. Oder sie entwirft für ihre Kundinnen ein vollkommen individuell gestaltetes Schmuckstück. „Wir setzen uns zusammen, ich frage die Kunden, was sie sich vorstellen, und dann male ich meine Ideen auf, die wir dann zusammen weiterentwickeln. Ich mag diesen persönlichen Kontakt zu den Menschen.“

Individueller Schmuck im Atelier de Valérie. Copyright: Ivana Bilz, 2023
Copyright: Ivana Bilz, 2023

Neben der menschlichen hat ihre Arbeit auch eine ethische Komponente. Die Steine, die Valérie verwendet, sind meist fair, also ohne Kinderarbeit, produziert. „Faire Steine sind leider noch immer schwer zu bekommen.” Das Metall, mit dem sie arbeitet, egal ob Gold, Silber oder Bronze, ist recycelt. „Es stammt entweder vom zertifizierten Großhändler oder von altem Schmuck.“ Im Leben kommt es nicht nur darauf an, was man macht, sondern auch, wie man es macht. „Ich versuche generell nicht kommerziell oder in einer Marke zu denken. Ich denke, wenn das passiert, geht das Herz verloren. Und das spüren die Menschen.“ Zudem ist sie dankbar für die Förderung der Curt Wills Stiftung. Zusammen mit der Stiftung organisiert Valérie in ihrem Atelier Ausstellungen mit anderen Künstlern, die die Stiftung ebenfalls unterstützt. Neulich zum Beispiel zum Thema Blumenkränze. Während einige Künstler das Thema klassisch interpretierten, steuerte Valérie geschmiedete Blumen bei, die trotz ihres metallenen Stils filigran im Wind wiegen können. Wunderschön.

Filigrane Handarbeit. Copyright: Ivana Bilz, 2023
Kreative Atelieratmosphäre: Es ist immer wieder erstaunlich, wie wandlungsfähig die Schiffscontainer im Container Collective sind. Copyright: Ivana Bilz, 2023

Ein Stück, auf das Valérie besonders stolz ist, ist eine Bronzeskulptur, die sie für Jane Goodall anfertigen durfte. Die Verhaltensforscherin, die mit ihrer Arbeit zu Schimpansen weltbekannt wurde, erhielt im Mai 2022 im Werksviertel den mit 10.000 Euro dotierten Prix International pour Les Enfants der Stiftung Otto Eckart. Neben dem Preisgeld wurde die britische Aktivistin auch mit einer von Valérie Tisserand gestalteten Skulptur bedacht, die Goodall mit einem Schimpansen zeigt. „Ich fand die Aufgabe so spannend und so inspirierend, ich musste einen zweiten Abguss für mich machen.“ Und wie sie das erzählt, und die Skulptur anschaut, auf der Forscherin und Schimpanse einander in Verbundenheit zugewandt sind, ahnt man, was Valérie damit meinte, als sie sagte, dass sie die Dinge vor allem mit dem Herzen tut.

Prix International pour Les Enfants der Stiftung Otto Eckart. Copyright: Copyright Ivana Bilz, 2021. All rights reserved.

Welcher ist Dein Lieblingsplatz in der Stadt? Mir fällt kein konkreter Platz ein, aber ich muss bei der Frage an meine Heimat Paris denken. Die Stimmung dort liebe und vermisse ich. Egal an welchem Platz. Hier in München mag ich mein Atelier, mein kreatives Zuhause.

 

Was gefällt Dir an Deiner Stadt am meisten? Diese besondere Energie, die an Orten entstehen kann, wenn die richtigen Menschen zusammenkommen.

 

Was magst Du an Deiner Stadt nicht so gern? Ich tue mich manchmal schwer mit dem Pendeln zwischen den Kulturen. Mittlerweile bin ich weder in München noch in Paris richtig zu Hause. Ich bin immer irgendwo fremd.

 

Zu welcher Zeit bist Du am liebsten in Deiner Stadt unterwegs? Tagsüber. Am besten in der Früh oder am Vormittag.

Das könnte dich auch interessieren