Seit mehr als 40 Jahren fördert die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung mit dem Deutschen Städtebaupreis eine zukunftsweisende Planungs- und Stadtbaukultur. 2023 standen dabei insgesamt 80 Projekte in zwei Kategorien zur Auswahl. Am 26. Mai 2023 wurde nun das Werksviertel als städtebauliches Vorzeigeprojekt ausgezeichnet. Die Freude darüber ist bei den Planern und Gestaltern des Münchner Stadtquartiers groß.
„Wir freuen uns außerordentlich über die Auszeichnung unseres Werksviertels mit dem Deutschen Städtebaupreis 2023“, so Timo Schneckenburger, Geschäftsführer der OTEC, die federführend mit neun weiteren Unternehmen das 39 Hektar große Areal im Münchner Osten entwickelt. „Die Art und Weise, wie wir städtische Räume gestalten, spiegelt, wie wir als Gesellschaft miteinander leben wollen. Wir sind im Werksviertel mit der Vision angetreten, ein Quartier zu schaffen, das den Menschen Raum für Lebensfreude gibt und das so nachhaltig aufgebaut ist, dass sich unsere Urenkelkinder darin noch wohlfühlen werden.“
Um dies zu erreichen, haben verschiedene Architekturbüros unter Führung des Generalplaners Johannes Ernst vom Architekturbüro Steidle Architekten ein Quartier entworfen, in dem Leben, Arbeiten, Mobilität, Unterhaltung sowie Kunst und Kultur zu einem einzigartigen urbanen Miteinander verschmelzen. Für die Landschaftsplanung zeichnen die Landschaftsarchitekten Jühling und Koppel unter Führung von Stefanie Jühling verantwortlich. Das so entstandene Werksviertel bietet Raum für großartige Architektur ebenso wie für digitale, kreative, künstlerische, soziale oder nachhaltige Innovationen. Jeden Tag entfaltet sich im Quartier eine lebendige Stadtkultur, die von den Menschen mitgestaltet werden kann.
Vergangenheit, die die Zukunft inspiriert
Im Werksviertel wirken die Vergangenheit, die Geschichte und die Identität des Ortes als Industrieareal inspirierend auf die Zukunft. Früher reihte sich am Münchner Ostbahnhof Werk an Werk. Die Knödel-Produktionshallen von Pfanni zum Beispiel. Die Optimol Ölwerke, in denen Schmierstoffe hergestellt wurden. Das Bekleidungshaus Konen bündelte hier nach dem Krieg seine Produktionsstandorte. Und die Zünder-Apparatebau-Gesellschaft, besser bekannt als Zündapp, baute Motorräder.
Um die Historie des Geländes weiter wirken zu lassen, wurde insbesondere im Werksviertel-Mitte ein Großteil der alten Industriegebäude erhalten, kernsaniert und neuen Funktionen zugeführt. Es entstanden Loft-Büros, es wurde Platz für Live-Bühnen, außergewöhnliche Gastronomie, Künstlerateliers sowie für Start-Ups und Sozialprojekte geschaffen. Ein ehemaliges Kartoffellager ist heute ein Theater. In alten 30 Meter hohen Kartoffelflockensilos befinden sich die längsten Indoor-Kletterrouten einer Kletter- und Boulderhalle Europas. Und auf den Silos wurde mit dem Adina das höchste Hotel der Stadt München errichtet.
Für Besucher fühlt sich das Werksviertel-Mitte durch den Erhalt zahlreicher Industriegebäude ganz anders an, als wenn alle Gebäude abgerissen und neu gebaut worden wären. Hinzu kommen spektakuläre Neubauten wie das vom niederländischen Architekturbüro MVRDV gestaltete WERK12, dessen Fassadengestaltung das Ergebnis eines ausgeschriebenen Kunstwettbewerbs ist.
„Wir sorgen bei uns im Quartier ganz bewusst für viele verschiedene Angebote, um unterschiedlichste Menschen zusammenbringen“, so Schneckenburger. Das Ergebnis ist eine besondere urbane Energie, die immer wieder überrascht, inspiriert und eben für Lebensfreude sorgt.
Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit
Zudem setzt das Werksviertel auch in der Nachhaltigkeit Maßstäbe. Auf einer Hoch-Stadtalm auf dem Dach des WERK3 grasen Schafe. In dieser Umgebung lernen Kinder und Jugendliche spielerisch in Workshops zu Themen wie Klima und Umweltschutz, ökologische Landwirtschaft und Ernährung oder Biodiversität. Im Quartier gibt es mit der werkkraft einen eigenen Energiedienstleister. Bis 2030 will das Quartier nur noch 40 Prozent der Ressourcen gegenüber dem Durchschnitt der Stadt München verbrauchen. Klar, dass es für nachhaltige Mobilität auch eine eigene Sharing-Flotte gibt, zu der E-Autos, aber auch E-Bikes gehören. Zum Fortschritt gesellt sich im Werksviertel aber immer auch die Tradition. Mit dem Werksviertel Bräu, einem Bier in Bio-Qualität, lebt die Kultur der Stadtteilbrauereien im Viertel neu auf.
Der nächste Meilenstein: Wohnen im Werksviertel
Derweil wird bereits am nächsten Meilenstein gearbeitet: „Wir wollen auch bei unserem Wohnungsbau zeigen, wie wir dem Anspruch der Urenkeltauglichkeit gerecht werden“, sagt Schneckenburger. Rund 600 Wohnungen für 2000 Menschen werden in den kommenden Jahren allein im Werksviertel-Mitte entstehen. Auch hier wird ganzheitlich gedacht, mit innovativen Baustoffen und Verfahren ebenso wie neuen Wohnformen sowie Community-Ansätzen.
Als weiteres Leuchtturm-Projekt ist im Werksviertel der Bau eines neuen Konzerthauses für Bayern geplant, in dem das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seine neue Heimat finden soll. Der künftige Chefdirigent des BRSO, Simon Rattle, hat diesen Anspruch und Wunsch kürzlich noch einmal nachdrücklich unterstrichen.
Für Timo Schneckenburger und die anderen Gestalter des Werksviertels ist die Auszeichnung mit dem Deutschen Städtebaupreis 2023 Bestätigung und Ansporn zugleich, immer wieder spannende Antworten auf die Frage zu finden: Wie wollen wir in Zukunft leben?