Hinter dem unprätentiösen Titel „Minutemade, die wöchentliche Dance Soap“ verbirgt sich ein mittlerweile hochkarätiger Dance-Event mit dem Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz und wechselnden Choreografie-Teams von internationalem Zuschnitt.
Gegründet 2013 wurden unter der Leitung von Ballettdirektor Karl Alfred Schreiner an verschiedenen Orten in zwei miteinander verbundenen Akten Tanz-Erzählungen mit einer jeweils auf eine Woche limitierten Probezeit entwickelt. Nach Studiobühne Gärtnerplatztheater und Gasteig HP8 konnte die Crew diesmal als neuen Raum das WERK7 theater erkunden. Am 7. März erarbeiteten dort Roy Assaf und GN/MC (Guy Nader, Maria Campos) die erste Geschichte, am 14. März nahmen GN/MC den Faden wieder auf und das Kollektiv KOR´SIA führte weiter.
Das Konzept einer fortlaufenden Erzählung
Mögen es gelegentlich auch nur Momentaufnahmen in der Entwicklung eines Zeichensystems sein – Zustandsberichte eines semantischen Raumes „Tanz“ – ist allein schon sehr intelligent. Und offensichtlich arbeiteten hier Choreografie-Teams und -Kollektive, die sich nicht als Rätsel-Exegeten der Hochkultur inszenierten, sondern die glaubhaft und erlebbar machten, dass die Lesbarkeit des bewegten Körpers durch Beharrlichkeit und Wiederholungen nahe- gebracht werden kann, ohne mit dem Zeigefinger auf der Zeile bleiben zu müssen. Ein Kursbuch des Tanzes, das auf ein europäisches Netzwerk weist mit internationalen Anschlüssen.
Auch Anschlüsse an den Film der 1990er Jahre lassen sich erkennen, man denke nur an „Short Cuts“ (1993) von Robert Altman oder „IL y a des jours et des lunes“ (1990) von Claude Lelouch.
In der Reprise des Schlussteils von Act One (7. März) sehen wir 18 Tänzer und Tänzerinnen in drei Reihen neben ihren Stühlen stehend. Zwei Garcons umkreisen mit ausgestrecktem Servierarm ihre Sessel und gehen ab. Kultivierte Szene, vielleicht eine angesagte Werkraum-Gastronomie. Zum Small Talk eignet sich Glenn Gould mit Stücken von Brahms. Fremdsprachiger Gossip, der sich als phonetischer Dada herausstellt, Positionen, Ehrgeiz, Lebensentwürfe. Die Sitzgelegenheiten dienen nicht dem Ausruhen, sie sind biographische Krücken der Einzelnen, Prothesen des Erfolgs, der Lebensläufe. Sie berechtigen die Einzelnen, teilzunehmen an der Börse der kollektiven Karriere-Einsamkeit, der connected Isolation. Immer wieder aber brechen Tänzerinnen von ihren Postamenten herunter, verlieren ihre Position. Am Boden zittern ihre Köpfe nach wie in einem itinerativen Freeze. Ich muss, ich muss ich muss.
Spiel in zwei Teilen
Irgendwann hier geht es über in Act Two. Zu einem strengen, obstinaten Piccicato entstehen Kräfte der Dekonstruktion. Stühle werden abserviert, nach draußen gebracht. Verloren gegangene Credits werden mithilfe der Körper der anderen substituiert. Eine wohl missglückende Solidarität, den Körper des Anderen zur eigenen Biografie zu deklarieren. Das geht in einem virtuosen Fluss über bis hin zu circensisch aufgebauten Körpertürmen, die den Einzelnen, der on top Platz nehmen will, rasch wieder abwerfen. Als ein letzter Stuhl des alten Regimes hereingebracht wird, stellt sich ein Tänzer mit einer Säge darauf, sägt sich selbst ein Stuhlbein ab und fliegt auf den Boden. Spontaner Applaus von den Rängen.
Mit der elektronischen Musik von Joan Pérez-Villegas, die das vorherige Ostinato wiederaufnimmt, entdecken Tänzer und Tänzerinnen neue, andere Kontexte am Boden, die Körper verständigen sich in horizontalen Rhizomen. Mit dem Sound, der gleichermaßen warm und gnadenlos, der keinen Aufstieg und deshalb auch keine Auflösung sucht, entwickelt sich eine faszinierende, maschinelle Erotik, ein kybernetisches Selbstbewusstsein. Die Liebe der Maschinen. Sie kennt keinen Orgasmus oder sie ist ein einziger, was ja auch ein Widerspruch in adjecto wäre.
Echte Emotionen
Die Unlösbarkeit dieser Frage mündet in ein Schlussbild der Rückkehr zu analoger Emotion. Man umarmt sich plötzlich, hier ein hug, da ein hug, was ein wenig klischeehaft wirkt. Ja, es ist wohl so gemeint: Die Protagonisten machen sich fertig zum Rückzug. Wunderbar! Sie scheinen das Gehen gerade erst gelernt zu haben! Stay connect!