17 Hippies aus Berlin in München? Kein Problem. Vor einer Berliner Blase müssen wir uns da noch nicht fürchten. Außerdem sprechen wir nicht von irgendwelchen, sondern von den „17 Hippies“. Die legendäre Weltmusikgruppe schenkte auf ihrer Tour der 9.000 Nächte eine weitere den Münchnern im Technikum, am Samstag, den 25. Februar.
Es war eine Nacht voller tanzender balkanischer Musik, verwoben mit Musette-Elementen, Jazz, Amerikana und deutschem Liedermacher-Geist, gesungen auf Englisch, Französisch und Hessisch.
„9.000 Nächte“, so heißt auch ihre neueste Produktion, ein aktueller Querschnitt durch 16 CDs seit 1997. Nicht als CD zu erwerben, sondern diesmal ganz einfach als App herunterzuladen ohne großen Streaming-Dienst-Heckmeck. Macht dann zusammen 17 Werke seit ihrer Gründung. Irgendwie hängt man an der Primzahl.
Auf der Bühne stehen aber schon mal mehr als 17 Instrumente: Neben Gitarren, Ukulele, die Bouzouki, griechische Schwester der Oud, die Mandoline, neben klassischem Blech von Posaune und Trompete die kleine Tuba, das Euphonium; Klarinette und Tenorsax vertreten das Holz, zweimal Akkordeon, Geigen, Fiddle oder Bratsche, Kontrabass, Schlagzeug und orientalische Darbuka; eine Querflöte hat sich versteckt und auf einem zentralen Aufbau im Hintergrund erkennt man ein Pianola. Dort muss auch ein Xylophon liegen, wie wir später hören werden. Das sieht jedenfalls nicht nach reinrassigen Folkloren aus.
Auch die Songtitel verraten, dass man sich nicht regional festlegen mag. Mit „Singapore“, erschienen im Herbst letzten Jahres als erste Single der neuen App-CD, startet der Abend auf einem fliegenden Teppich. Ein Bouzouki-Intro weckt den Wind und bläst die wilde 13 – es sind ja gar keine 17 – im osmanischen Groove treibender Geigen vom Indischen Ozean Richtung Jakarta über die flache Java-See der Piraten. Es verwirbelt, der Teppich wallt und franst aus, das Thema rollt und entfaltet sich, schlägt über den Köpfen zusammen, aber die Klarinette bringt mit einem steilen Aufstieg den Teppich wieder vor den Wind und mit Trompeten-Sicherung kommt man in einen stabilen Anflug. „We are on our way to Singapore“ beruhigt der Käpt´n. Infernalisch, orgiastisch sichere Landung. Wow! Scheint sich um einen Zwischenstopp gehandelt zu haben! Ob die wilde 17 gerade auf ihrem Weg zu ihren Konzerten in Australien, Neuseeland oder China war, lässt sich heute allerdings nicht mehr genau sagen.
Kiki Sauer (Gesang, Akkordeon, Querflöte) ist im wirklichen Leben also mal wieder in München angekommen. In 9.000 Nächten waren sie bestimmt um die 20 Mal schon hier, sagt sie, hat vielleicht was mit den sexy Fallwinden zu tun. Elser-Halle, Freiheizhalle, Tollwood, Kammerspiele, Pagode im Englischen Garten und einmal im Cockpit einer 737 auf dem Flug von Lausanne. In 9.000 Nächten und 80 Takten um die Welt – Hippies können fliegen.
Im nächsten Song geht es darum, wie man Glück finden kann. Ohne es zu suchen. „El Dorado“ ist ein luftiger Musen-Glücks-Kuss. Der Song schaut aus dem Nichts um die Ecke in heiterem Mandolinen-Swing à la Italian Style und erinnert an „Tu vuò fà l’americano“. Und weil man besser nicht auf dicke amerikanische Hose macht, singt Kiki Sauer auf Französisch über das Gold der luftigen Küsse. Tja, wenn Musik der Liebe Nahrung…“Parmi mille regards je serai la seule en ton il / Mon El Dorado“.
Schon mit „Le Temps de cerises“, einem Lied aus der Zeit der Pariser Kommune, ging es auf eigene Frankreich-Tour, nachdem die Truppe zuvor bereits 2007 im Pariser Olympia gelandet war. Fünf Alben erschienen allein nur in Frankreich. Die dortigen Fans attestierten den Hippies den „Berlin Style“ und so nannten sie 1999 dort auch ihr erstes. „17 Hippies chantent en francais“ kam zuletzt 2013 heraus.
Die Liebe zu Frankreich ist groß. Unter „Tous les garçons et les filles“ von Francoise Hardy sticht sie mit „Berlin Style“ besonders heraus: Niki Sauer, zart und leichtfüßig mit „Jolie fille“.
Klar, dass es die High-Fly-Hippies auch mal nach Louisiana zieht, wo man sich beim Moon-Shiner, dem schwarz gebrannten weißen Whisky erzählt, wie die Franzosen das Land beim Kartenspielen an die Amerikaner verloren haben. Beim Atchafalaya im Big Bayou des Mississippi trifft der Erzähler seinen Großonkel: „Roter Mond, die Sonne wirft den Abend / über unsre Köpfe weit hinab / da sitzen wir nun rastlos wie die Raben / Roter Mond am Ende vom Tag“. Mandoline und Akkordeon geleiten den Bläsersatz über leere Straßen, wo Alligatoren sehr ruhig den Verkehr regeln und nach ein paar Flaschen Wein, findet der Großonkel wieder zu seinem alten ostpreußischen Dialekt: Meen Jungchen!
Bleiben wir noch ein bisschen in Amerika. „Across Waters“ könnte mit den ersten Takten zu „City of New Orleans“ führen und natürlich gehören beide Guthries auch zur Lieblingslektüre sowieso aller Hippies, aber Geige und Cello ziehen irisch wehmütig die Banjo-Linien in die Länge und lassen sie an den Ufern ausplätschern. Da wird es mehrstimmig und schon will unser Inneres mitsingen: “We are stardust, we are golden/We are billion year old carbon/And we got to get ourselves back to the garden.” By the time we got to Woodstock. Schöne Zeitreise.
Das Singen haben sie ja allerdings erst nach und nach dazugelernt und so gibt es auch ein Instrumental: „Worksong“ lässt sich nach einem leicht Zydeco-artigen Intro in einen Uptempo-Shuffle, getrieben vom Euphonium, fallen. Banjo, Mandoline portionieren mit kantigen Off-Beats und der ganze Bläsersatz kommt hinzu; das Akkordeon verwirbelt und die gestopfte Trompete lacht dazu wie ein Bajazzo. Immer kurz bevor der Groove-Elevator aus der Führung zu kippen droht, verhindert der Bläsersatz das Gröbste und das Ganze stolpert in einem Ostinato-Riff die harmonische Treppe hinunter. Paul Brody an der Trompete improvisiert in diesem abstürzenden Turnaround mit dramatisch skalenfremden Notennägeln. Hört sich an wie aus einer ferneren Big Band-Zeit, Ende der 1960er Jahre. Nochmals Wow! Absolut Hot. Hippie-High-Fly! Härter als 12 Monkeys.