Die Magie von Huang Mins Kunst
Am 4. September eröffnet unter dem Titel „Journeys back to Europe“ in der whiteBOX, eine Ausstellung der Malerin Huang Min mit epischen, panoramatischen Formaten, was als Merkmal unter dem Rubrum des Phänomens der chinesischen Malerei seit einem ersten Hype der 2000er Jahre als zugeschrieben galt.
Die Arbeiten entstammen der Blue Mountain Contemporary Art (BMCA), deren Aufgabe sich darin versteht, namens des Gründers Ofer Levin, Subsummierungen unter Nivellierungen von der Art „Phänomen“ als imaginäre Kulturwissenschaft zu kritisieren. Das erhellt zum Beispiel aus Lu Mingjuns Artikel „ Art, China And Imagining A New World In The Age Of Post-Globalisation“ im von BMCA herausgegebenen englisch-chinesischen, zweisprachigen Katalog „Capturing The Moment“ mit 21 Künstlern der Sammlung. Er betrifft Fragen der Migration, dogmatischer Pressionen von Religion und Administration, anlässlich des Projekts „Mulan River – Cuò“ im Petah Tikva Museum, Israel.

© Studio Huang Min
Der materiell globale Fortschritt überfordert die Anpassungsfähigkeit der Seele
In einer als vorauseilend historisch titulierten Phase, die ihren intellektuellen Diskurs in bereinigender Absicht zunehmend aus einem Blickwinkel a posteriori anschaut, mit Postmoderne, Post-Strukturalismus, Post-Nationalismus, Post-Kolonialismus und schließlich Post-Globalisation, gilt es den Prozessen der seelischen Weltbilder Aufmerksamkeit zu schenken. Das „Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama wie schon das vorher von den Erlösungsbevollmächtigten des Lenismus-Stalinismus proklamierte war keines. Das kollektiv Unbewußte, das Reservoir aus dem die Kunst schöpft, registriert die Sensationen des Fortschritts in alten, atavistischen Formulierungen.
„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge der Wahrheit.“
Wer den vertikal organisierten Top-Down-Ideologien mit ihren Wahrheiten misstraut, fühlt sich zur Kunst hingezogen, oder wie Adorno sagt: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge der Wahrheit.“
Der Titel der Ausstellung „ Journeys back to Europe“ drückt nicht die Hoffnung auf eine strahlende Zukunft ost-westlichen Tourismus´ aus. Vielmehr wirken die Arbeiten Huang Mins wie eine Tour d´Horizon, deren panoramatische Raumversuche auf die seelischen Konstitutionen eines vormalig sphäreologischen Schutzmantels weisen, dessen Firmament im informationellen Beschuss des Globalen löchrig geworden ist. Der entblößte Globus, auf dessen Oberfläche seit Magellans Umrundung (1522) jeder Ort gleich viel wert wurde, ist nicht mehr eingehüllt in Sphären, die geeignet sind, irdische, gesellschaftliche Beherbergung zu empfinden.
Bilder ohne Jahreszeiten
Das konfuzianische „Mandat des Himmels“ ist für den deterretorialisierten Menschen, der in der dünnen Jacke des Bevölkerungstyps fröstelt, nicht mehr vernehmbar. Die Menschen schauen auf einer Art ausgerolltem Cinemaskop nach oben und hängen doch kopfüber oder sie picknicken und drehen sich einfach weg. Die Bilder haben keine Jahreszeiten, diese haben ihren Trost der Wiederkehr als Haltestellen im sternenkalten All verloren. Eindringlich und befremdlich schauen Ansammlungen von Menschen und Müll aus den Bildern heraus in den Westen, wo seit der Neuzeit nicht mehr galt: ex oriente lux.
Alles westwärts
Noch bei seinem vierten gescheiterten Versuch, Indien auf der Westroute zu finden, war Kolumbus bei der Entdeckung Amerikas der Ansicht, im Delta des Ganges angekommen zu sein. Das machte nichts, von da an zog alles westwärts. Die Eisenbahnen wurden westwärts verlegt und die nachfolgenden Telegraphenmasten trugen ihres dazu bei, den Raum zu verdampfen. Der große, holistische Raum verschwand und zerpixelte sich in ubiquitärer Unverbindlichkeit zum Netzwerk der Standortvorteile. „Drive the highway west, the west is the best“, sang Jim Morrison von den Doors.
Die Folgen der Umrundung
Der unausgesetzte Fortschritts-Übersprungsmechanismus der Selbstüberrundung Richtung Westen liest sich bei Peter Sloterdijk in Sphären, Band II so: „Jetzt müssen diese (die Festlandeuropäer) wie in letzter Minute nachholen , was sie in ihrer großen Mehrheit ein halbes Jahrtausend lang in eigener Sache zu begreifen sich geweigert hatten: dass jeder Ort auf einer umrundeten Kugel auch aus der größten Ferne durch Transaktionen von Gegenspielern in Mitleidenschaft gezogen werden kann“ (vgl. Seite 824).
Die Bilder von Huang Min ziehen hinein in einen künstlerischen Prozess, der uns in einer Pause einen Blick auf William Blakes „Doors of perception“ gewährt, einen Moment, in dem das Welt-Unbewusste in seiner unausgestzten Umrundung einmal inne hält: Das ist Magie der Kunst.
Hier geht es weiter zur Blue Mountain Contemporary Art (BMCA).