Die Ausstellung „raumgreifen“, die noch bis zum 28. November im Werksviertel-Mitte stattfindet, lässt Kunst und Stadtraum in einzigartiger Weise miteinander verschmelzen.
An einem Freitag Mitte Oktober fand sich im wiederbelebten Container Collective beim neuen Café Acuda ein größerer Trupp von Leuten ein, die durch eine Ausstellung geführt werden wollten. Eigentlich war es um halb acht da schon etwas dunkel, ohne Mikro war man für die stattliche Menge eigentlich zu leise, aber eigentlich handelte es sich bei „raumgreifen“ ja sowieso nicht um eine Ausstellung im eigentlichen Sinne. Und damit sei´s auch genug der Eigentlichkeit! Handelte es sich hier doch nicht um Kunst als ein herkömmliches Fertigprodukt, sondern eher um einen Ausbruch der Kunst. Ein Projekt, welches das Ansinnen des Projekts „Werksviertel-Mitte Kunst“ die Entfaltung der Kunst im Stadtraum zu ermöglichen, bestens auf den Punkt bringt.
Wo der Stadtraum bewegt wird, öffnen sich die Spalten für die Kunst
Das „raumgreifen“ findet zum Beispiel in der Brennerei „Cosmic Spirits“ von Sebastian Rauscher statt. Hier wird es verschiedene Aktionen geben, Ende Oktober und in der ersten Novemberwoche. Genauer sollte man spontane Aktionen auch gar nicht ankündigen. Die künstlerische Strategie im Stadtquartier ist nunmehr subversiv, obskur, manchmal provokativ „in your face“. Es gilt: stay connected! Wer sich absichern will: Ein Audio-Rundgang ist auf der WebApp unter www.werksviertel-kunst.de kostenfrei. Führungen gibt es zusätzlich donnerstags, um 18 Uhr, auch mit Anmeldung unter derselben Webadresse.
Kunst im Quartier
Nächste „raumgreifen“-Station ist der Knödelplatz. Unser Blick wird da wie immer eingefangen von den bunt leuchtenden 5-Meter-Versalien der früheren Atelierkünstler Beate Engl und Christian Engelmann am Werk12. Die AAAAHs und OOOOHs um das Fitness-Center „Body and Soul“ kommentieren momentan nicht Schlussakkorde eines Open-Air-Konzertes, sondern werfen ihr Licht auf drei Flaggen der Künstlerinnen Miriam Ferstl, Gretta Louw und Nena Cermak. „Epic“, „Cosmic“ und „Awe“ steht da vor Hintergründen, die ursuppig wabern.
Währenddessen stehen wir aber bereits auf einem Kunstwerk. Es ist das vom Tarot inspirierte 7-Knödel-Wappen des Künstler Ugo Dossi, das im November 2019 von Schwerlasttransportern über Nacht angebracht wurde und in mehreren Teilen in den Boden eingelassen wurde. werksviertel-mitte.de/2019/12/17/das-weltenmodell-auf-dem-knoedelplatz In dem Kreis kleben am Boden Zettel von Barbara Herold mit einem QR-Code, der auf dem Handy einen frohen Lichterregen über dem Dossi-Wappen erzeugt. Kunst kommuniziert mit Kunst.
Eine rote Knautschrolle stützt ein Hochhaus
Dann, ein paar Meter weiter scheint vor kurzem gegenüber des Werk7 theater aus den metallischen Hochglanz-Verkleidungen der Gebäude ein Wellblech-Panzer herausgefahren zu sein. Der steht da herrlich verstockt und richtet sein Kanonenrohr in die Schlange der für das Theater Anstehenden. Aber, weil es eine Arbeit von Gregor Passens ist: Vorsicht, doppelter Boden! Das Kanonenrohr ist das Ofenrohr einer eher netten, kleinen Aluhütte, die nur umgekippt ist. Eine ähnlich pfiffige Idee, architektonische Interaktion zu behaupten, hatte Tomaž Kramberger. Schaut man nach links in den engen Durchgang zwischen WERK3 und WERK4 und ein bisschen nach oben, sieht man wie er die ohnehin sehr knapp nebeneinanderstehenden Gebäude im ersten Stock freundlich verbunden hat. Zwischen zwei Fenstern hat er einen dicken roten Schlauch aufgeblasen, der nun, nur mit seiner Farbe und etwas Luft, den beiden Monstern einen Puffer geben mag. Von solchem Humor beseelt ist auch der an der Rückseite der TonHalle installierte Basketballkorb von Rober Barta, der mit seinem Korb aus metallenen Schnüren, die bis zum Boden geführt sind, zum heiteren Scheitern einlädt. Derartige Arrangements laden ein zu Sport-Fail-Videos.
Kranschaukel, Kartoffelrutsche … Was kommt da noch?
Bleibt am Ende der „raumgreifen“-Tour noch, das ominöse, noch nicht bebaute Gelände zu umrunden, in dem Schneewittchens Sarg liegen soll, bei dessen Öffnung das Licht eines großen Hauses für die Musik in den Himmel strahlen soll. Dort ist momentan noch Platz. Dort grinst der Gevatter Nöth in einem Grafitti an der Wand des WERK1 und wartet darauf, dass Aldo Giannotti einen Kran als Riesen-Schaukel missbrauchen will. Und was hat der berüchtigte Kaperer Brad Downey vor? Der will, so heißt es, die Kartoffelrutsche, ein tonnenschweres Spiralungetüm aus rostigem Eisen, das er am hinteren Ende des Werksviertel-Mitte-Geländes gefunden hat, wieder aufstellen. Diese Kartoffelrutsche war einst verborgen an einer Seitenkante des alten Hochsilos eingebaut, um die zuerst eingelagerten Kartoffeln auch zuerst nach unten zu den Wasserkanälen kullern zu lassen. Was Kunstpirat Downey wohl von der Rutsche lassen wird? Wir werden sehen. Törichter Vorschlag: die Sieben Zwerge können ja an Weihnachten Marillenknödel mit Zimtzucker für die Kinder herunterrollen lassen. Aber da hat der Blödsinn im Kopf des Schreibers raumgegriffen.
Die Ausstellung „raumgreifen“ findet bis 28. November im Werksviertel-Mitte statt. Führungen durch die Ausstellung: Do, 18:00 Uhr , Sa/So, 14:00 Uhr (Anmeldung unter www.werksviertel-kunst.de) oder auf Anfrage (office@werksviertel-kunst.de) Treffpunkt: Container Collective, Atelierstraße 4, 81671 München
Die Ausstellung raumgreifen wird im Programm „Bayern spielt“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert. Die Web-App werksviertel-kunst.de wurde durch das Förderprogramm „kulturstark“ der Beisheim Stiftung finanziert. Das Projekt „Kunst zwischen Raum“ wird durch die Curt Wills Stiftung gefördert.
Autor: Michael Wüst