Künstler der Ateliergemeinschaft whiteBOX stellen virtuell aus: Am 22. Juli um 18 Uhr, wird in den Räumen der Privatbank Hauck & Aufhäuser die Ausstellung „#systemrelevant – ein System ohne Kunst ist nicht relevant“ per Videokonferenz-Technik eröffnet. Wer dabei sein will, wählt sich über http://whitebox.art/projekte/ als User von „Zoom“ ein und kann sich dann mit 1000%igem Sicherheitsabstand mit neuen Arbeiten von Margarete Hentze, Natascha Küderli, Gregor Passens, Angela Stauber, Sinan von Stietencron, Robert Weissenbacher, Johannes Wende und Youjin Yi auseinandersetzen.
Virtuelle Vernissage mit chattendem Publikum
Informationen, Text und Bild zu den Künstlern, die sich in Zeiten der künstlerischen Corona-Diaspora nun „Kernfamilie“ nennen dürfen, findet sich reichlich ebenfalls auf der whiteBOX-Website. Zur Vernissage geht es auch über www.systemrelevant.art.
Die Ausstellung wird bis Ende des Jahres virtuell zu sehen sein, einzelne Sonderveranstaltungen werden extra angekündigt.
Dass eine virtuelle Vernissage mit chattendem Publikum und Videokonferenz-Technik durchaus Spaß machen kann, hatte Sinan von Stietencron bereits mit der Ausstellung „Teilhabe„, die am 18. März mit physischem Publikum in vivo in der Galerie Bezirk Oberbayern eröffnen sollte, aber schon dem Lockdown zum Opfer fiel, bewiesen.
#systemrelevant – ein System ohne Kunst ist nicht relevant
Der Titel der neuen whiteBOX-Ausstellung provoziert zur Diskussion über die Frage nach der Systemrelevanz der Kunst. Dazu Martina Taubenberger im Pressetext: “ Die Frage, ob Kunst systemrelevant ist, ist falsch gestellt. Kunst stützt ja nicht das System, sondern hinterfragt, interpretiert und dekonstruiert es im besten Fall. Die Frage ist vielmehr, ob ein System nicht irrelevant wird, wenn es auf sein Existenzminimum reduziert wird.“
Das Thema hat es ja in sich, wenn man mal bereit wäre, die ganzen euphemistischen Verschleierungen wegzublasen. Und in der Tat sollte zumal in kreativen Sphären und Kuckucksheimen endlich damit aufgehört werden, um den Tapferkeitsorden der „Systemrelevanz“ für tröstende Dienste an der Gesellschaft in ökonomischen, existenziellen und Sinnkrisen zu buhlen!
Das finanztechnische Wort, das in der Bankenkrise 2007-2009 dazu herhielt, die Gesellschaft in Haftungsstimmung für die Big Player unter den Banken hochzuschunkeln, wurde in der Gleichheit aller vor dem Virus (was nur bedingt stimmt) heruntergebrochen auf die sozialen Arbeiter, und in Blech gestanzt für die Helfer-Helden verliehen.
Immer wieder beklagen Performer und vor allem Musiker seelische Defizite mit dem Verschwinden der Öffentlichkeit und warnen: was uns verletzt , verletzt auch euch. Der Rest der kreativen Persönlichkeit, ertrinkend im Meer der exekutiven Wellen, verstreamt Hilferufe vor dem Untergang. Er lokalisiert sich im Meer des überschwemmten öffentlichen Raumes, in dem die Planken der Bühnen treiben – Boatpeople des Kreativen hoffen sich im Netz zu verfangen.
Sie streamen gegen das Vergessen, gegen das Versinken. Was sollen sie machen? Worüber sollte man sprechen? Die ästhetische Theorie der Kunst läuft Gefahr – unter Beihilfe ihrer Akteure – zu einer seelischen vorkonstitutionellen Befindlichkeit erneut zu schrumpfen mit der das 19. Jahrhundert den Künstler diskreditiert hat. Merkwürdigkeit und Eigensinn der Kunst sind wieder einem mehr oder minder privaten Konflikt zwischen Es und Ich geschuldet?
Die Betonung des Inwendigen, die Auferstehung der Innerlichkeit in der Krise, beraubt die aber Kunst der gesellschaftlichen Relevanz: In ihren Brüchen, ihrer Brüchigkeit, in ihrer Form wieder auftauchend, die Brüche im System selbst zu benennen. Wie die Kunst das findet?
Ja, Kunst dekonstruiert Gesellschaft und verschweigt wie sie das macht. Das Nichtauffinden der in Form gegossenen Brüche der auswendigen Welt, das Obskure ihrer Entdecktheit ist Ferment des Künstlerischen. Das Ferment ihres Widerstandes. Das hat nichts mit seelischer Wellness zu tun.
Autor: Michael Wüst