Techno und Rave hatten in den Nuller-Jahren nach der Sonnenfinsternis die Tanzwut extrem befeuert. Bei der Loveparade 1999, angemeldet als Antidrogenveranstaltung und politische Demonstration mit dem Titel „Friede, Freude, Eierkuchen“ kamen 1,5 Millionen Menschen. Als sich im Laufe der folgenden Jahre die kreative Technoszene von der Loveparade zurückzog und eigene Veranstaltungen, wie die „Fuckparade“, durchführte, ging der Boom zurück. In München gab es die Union Move mit 70.000 „Demonstranten“. Ursprünglich hatte die kleine bayerische Variante sich „politisch“ gegen die Münchener Sperrzeiten gewandt – wohl auch mit Erfolg. Die Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg 2010, stoppte die Techno-Umzüge abrupt.
Nach den Loveparades wurde noch heftiger gefeiert
Extensives Feiern und nächtelanges Abtanzen blieben jedoch weiterhin zentraler Freizeitsport und wurden als bekennender Ausdruck der Lebensbejahung empfunden.
Für die Kultfabrik und ihr Kreativteam hieß das verschiedene Formate und Szenerien zu konzipieren, die die Massen an den Wochenenden weiterhin auf das Gelände kommen ließen, um sich in den Gassen und den 20-25 Clubs zum Feiern zu verlaufen.
Im All Area-Prinzip entstanden seit den 10er Jahren jede Menge Varianten eines ausgelassenen Party-Blubb-Step, der auch zu so manchem Jungesellenabschied führte, der weniger nach dem Geschmack der Türsteher war.
Die Kreativen der Eventfabrik entwickeln Partyformate
Auch die Filzhut-Kohorten während der Wiesn waren nicht jedermanns Geschmack. In den After Wiesn Partys konnte man diese Fraktion, die – um mit Lagerfeld zu sprechen – die Kontrolle über ihr Leben verloren hatte, zusammenfassen. Man ermöglichte Ihnen einen denkwürdigen Abend und einen Day After.
Wenn etwas immer sehr geschätzt wurde an der Kultfabrik, dann war es die absolut unschnöselsige Toleranz, die vorherrschend war. Der Blick auf die Schuhe war nicht maßgebend für den Zutritt.
Keine schnöselige Arroganz. Gast ist Gast, auch mit Turnschuhen
Klar, ein bisschen die Braue hochziehen gab es bei den Türstehern natürlich schon, aber das „Du nicht“ gab es eher selten. Berg am Laim war eben nicht Berghain.
In der Nachtkantine mussten Bands auch mal eine längere Pause einlegen, wenn es am Samstag in die Bundesliga-Schlusskonferenz ging. Dazu brauchte man kein Bœuf Stroganoff, eher ein Böfflamott in Hamburgerversion.
Seit 2004 feierte man jedes Jahr die All Area Jubiläumsparty, mit 10.- € Eintritt für alle Clubs und vielen Live- und DJ-Acts. Die Gassen, wie auch der mittlere Highway vor TonHalle und Nachtkantine – die „Schinkengasse“ – frei nach Malle-Slang, boten Leberkäs, Chickenwings und Pommes weiß-rot.
Der Party und Schlagersound zog die Leute von einer Location zur nächsten. Wer es schwermetallisch brauchte, ging in das fabelhafte Titty Twister und wer auf bestimmte verschärfte Beats per Minute-Frequenzen stand, ging zu Romeo ins NOX.
Münchnerisch geht es zu. Tolerant.
Die Münchner Linie war sehr erfolgreich. Zur Fußball-WM 2014 wurde mal eben ein Bierzelt auf dem damaligen P2 aufgestellt – dem Parkplatz, wo heute das Container Collective zum Eintritt auf das Werksviertel einlädt.
Bei einem ersten Frühschoppen konnte man sich auf riesigen Screens die Vorrundenspiele anschauen und sich später bis in die Nacht an jedem Imbiss und in jedem Club Jogi Löws Analysen über ein mäßiges Spiel gegen Ghana geben, bis man später dann doch noch in den Q-Garden des Q-Clubs trudelte.
Dieser Parkplatz war schon des öfterern der Ort für größere Open Air Events gewesen. Zwei Jahre vorher machte man Bekanntschaft mit dunklem Guinness, der Paul Daly Band und schönen Hupfdohlen von der grünen Insel mit fetzigem Irish Step. Beim ersten „Ireland Day“ wurde die uralte bayrisch-irische Freundschaft gründlich erneuert.
Die Mitarbeiter werden wertgeschätzt
Inmitten des ganzen Partybetriebs feiert sich auch alljährlich die Kultfabrik selbst bei der alljährlichen Night-Wiesn.
Traditionell lädt seit der ersten All Area-Party 2004, die Geschäftsleitung nicht nur die politische Prominenz Münchens ein, sondern auch die Mitarbeiter der Eventfabrik aus jenem Flachbau vor den Toren des Geländes. Dort wo die Ideen und die Ausgestaltung aller Specials entwickelt werden.
Auf der Night-Wiesn spielen wie sonst auch die „Wuidara Pistols“, „Roland Hefter und die Isarrider“ oder auch der BR-Comedian Chris Böttcher in der Nachtkantine. Nach der opulenten Auftaktveranstaltung steht die Nachtkantine dann während der Wiesn-Zeit als 18. Wiesn-Zelt den Besuchern offen.
Viele Sommerfeste wurden ganz ohne spezielles Motto erfolgreich gefeiert, mehrfach stand dabei der Parkplatz vor dem alten WERK3 mit Barbecues und endloser Grillware voll. In den Gassen sorgten jedes Jahr neu jede Menge Spiel- und Funkgeräte aus dem riesigen Fundus von Jochen Schweizer für Abwechslung. Gute Mägen brauchte man da schon.
Die Kultfabrik unterstützt die Munich Cowboys
Den Anfang und das Ende des Jahres säumten zwei Super-Partys. Die Superbowl-Party im Februar wird auch immer noch, ebenfalls seit 2004, gefeiert.
2005 wurde die Kultfabrik offizieller Sponsor der Munich Cowboys, deren Spiele man auch im Dantebad sehen konnte und kann. Topspieler und Vertreter der amerikanischen Botschaft begrüßen jedes Jahr die Fans.
Ein Höhepunkt war 2019 die Teilnahme des Sport-Streamingdienstes DAZN. Für 2000 friedliche Footballfans wurde die Zeit bis zur Entscheidung in den frühen Morgenstunden perfekt mit einer Unzahl von Spielmöglichkeiten überbrückt. Europas größte Superbowl-Party wird jedes Jahr beliebter.
Halloween immer schöner und schauriger
Zum unbestrittenen Topevent entwickelte sich aber seit den 10er Jahren die Halloween-Party am Tag vor Allerheiligen. Schnell mit günstigem Eintritt in die Clubs zu gelangen, das funktionierte an diesem Tag immer.
Aber Janine Bogosyan und Nina Thiel verlegten im Lauf der Jahre ihren ganzen Ehrgeiz darauf, die Freifläche zwischen den Clubs in eine wunderbar kindisch-gruselige Geisterbahn zu verwandeln.
Alles wurde in knalligen Farben wunderbar geschmacklos und dick aufgetragen. Ganze Friedhöfe wurden mit Torfmull aufgeschüttet. Das bereits entkernte WERK3 konnte mit markerschütterndem Detonationslärm gesprengt werden, der Hund von Baskerville heulte und Fledermäuse schwirrten oder fielen herab. Dutzende Freddy Krügers und Walking Deads striffen durch das Publikum, Fog, der Nebel des Grauens drang aus allen Clubs und Poltergeister-Rümpfe kokelten vor sich hin.
In alten ausrangierten Telefonzellen ist gefoltert worden! Die Gäste dankten es mit teils wunderschönen Kostümen.
Und dann zum Abschluss noch eine Sensation: seit 2013 brach, zu späterer Stunde unvermittelt, die wilde Jagd von Ammertaler Perchten in stinkenden alten Fellen aus den Toren der TonHalle hervor und trieb kreischende Pulks von klappernden Zahnspangen vor sich her. Unerreicht!
Autor: Michael Wüst