Heute eröffnet die Ausstellung „This Might Be A Place For Humming Birds“, die zeitgenössische Kunst- und Kulturproduktionn zeigt, die in Guatemala entstanden sind und sich dort verorten. Sie ist ein feministisch und dekolonial inspiriertes Projekt, unter der Leitung von Çağla Ilk und Antje Weitzel, dass erstmals in Deutschland in diesem Umfang in der whiteBOX stattfindet. Die Künstlerin Çagla Ilk arbeitet schon länger mit der whiteBOX zusammen. Im Jahr 2017 ist im Das WERK Magazin ein Interview mit ihr erschienen, in dem Sie über Kunst im öffentlichen Raum spricht:
Frau Ilk, wem gehört der öffentliche Raum?
Öffentlicher Raum sollte per Definition von allen Bürgern benutzt werden können. Wir durchqueren öffentliche Räume auf unseren täglichen Wegen zur Arbeit oder zum Einkaufen. Er dient der Kommunikation der Bürger einer Stadt, wir verbringen dort auch unsere Freizeit und erholen uns. Er ist eben ein sehr wichtiger Raum in unserem Leben.
Unser Alltag findet im öffentlichen Raum statt. Konflikte, Berührungen – das gesamte Leben bildet sich in ihm ab. Obwohl der öffentliche Raum den Bewohnern gehört, wird er zugleich von der Stadt, die Repräsentant des Gemeinwesens ist, kontrolliert. Das macht den öffentlichen Raum so besonders. Nicht jeder hat dort alle Freiheiten.
Über die Kontrolle des öffentlichen Raums wird seit jeher heftig gestritten. In den Neunziger Jahren haben Städte die Kontrolle des öffentlichen Raums vorallem Investoren überlassen. Ein Fehler?
Ja, das war eine fatale Entwicklung. Städtische Räume wie Plätze oder Parks sollten allen gehören. Nun haben wir aber in der Vergangenheit erlebt, dass große Teile des öffentlichen Raums privatisiert wurden. Das hat zur Folge, dass die Investoren über die Regeln des Raumes bestimmen können und nicht mehr die Stadt.
Ich hatte bei mir im Viertel eine Markthalle, die neu belebt werden sollte. Ursprünglich gab es die Idee, dort Bauern aus der Region oder Handwerkern aus dem Viertel eine Möglichkeit zu geben, dort ihre Waren anzubieten. Dann hat man die Halle aber an einen Supermarkt gegeben. Nun ist sie ein absolut austauschbarer Ort. Dort gibt es nichts Besonderes zu erleben. Wenn man nicht einkaufen muss, dann muss man sich dort nicht aufhalten.
Oft ist es leider so, dass derjenige über den öffentlichen Raum bestimmt, der die größten – meist finanziellen – Ressourcen zur Verfügung hat. In den Straßen herrscht meist der Autoverkehr. Auf den Plätzen meist die Geschäfte des Einzelhandels. Diese Vereinnahmungsprozesse finden sich überall im öffentlichen Raum. Das Ergebnis sind Räume, die ihre Geschichte verloren haben.
Was kann Kunst im öffentlichen Raum bewirken?
Kunst kann helfen, einen öffentlichen Raum überhaupt zu definieren. Die Plätze einer Stadt gibt es meist schon hunderte Jahre. Ich bin sicher, dass auch Sie einen Platz mit einem dieser typischen Reitermonumente kennen.
Das ist Kunst im öffentlichen Raum. Und schon damals sind die Bürger an diesem Monument zusammengekommen. Kunst im öffentlichen Raum hilft, Identität zu stiften und einen Bezug zur Stadtgesellschaft herzustellen.
Zieht es auch deshalb die Kunst wieder verstärkt in den öffentlichen Raum, weil dieser zu stark von anderen Parteien
vereinnahmt wurde und nicht mehr ausschließlich dem Gemeinwesen dienlich ist?
Ich denke schon. Normalerweise war die Kunst immer in eigenen Räumen in der Stadt vertreten. Vor allem in Museen oder in Institutionen. Doch durch die Veränderung der Städte, durch das Schrumpfen des öffentlichen Raums, sieht sich die Kunst herausgefordert. Sie wird ja auch oft wie bestimmte Milieus aus der Stadt verdrängt.
Kunst hat jedoch auch eine gesellschaftliche Funktion und viele Künstler sehen sich da auch in der Verantwortung. Daher interveniert die Kunst in den letzten Jahren immer stärker im öffentlichen Raum, um ihn für die Bürger zurückzugewinnen.
Mit Erfolg?
Ja. Oft bewegen wir uns im öffentlichen Raum, ohne dessen Geschichte zu kennen. Der Raum ist alltäglich. Wenn man dann jedoch eine Performance erlebt, die die Geschichte des Raumes erzählt, verändert sich auch die Beziehung zu diesem Raum, in dem wir uns vorher zwar schon bewegt haben, den wir glaubten zu kennen, aber plötzlich ganz neu entdecken.
Außerdem eröffnet die Kunst eine alternative Sichtweise auf den öffentlichen Raum. Sie kann neue Ideen stiften. Oder auch einfach nur schön sein. Das ist auch eine Aufgabe der Kunst. Sie kann im Raum eine neue Atmosphäre schaffen. In den letzten Jahren haben Künstler sehr viele unterschiedliche Strategien entwickelt, sich den öffentlichen Raum wieder anzueignen.
Wie sehen Stadtplaner die Intervention von Künstlern im öffentlichen Raum?
Wenn ich sehe, dass Stadtplaner nicht mehr nur im Auftrag von Politikern oder Bauherren arbeiten, sondern sich auch mit Bürgern,
Künstlern, Theatermachern oder Stadtsoziologen zusammensetzen und urbane Möglichkeiten diskutieren, dann ist das schon ein Fortschritt.
Ich denke, Stadtplanern ist heutzutage bewusster, für wen sie die Städte planen und dass es nicht funktioniert, das Feld nur den Investoren zu überlassen. Es gibt eine Tendenz, die „Kollaboration“ genannt wird und den gemeinsamen kreativen Prozess des Gestaltens und Lernens unterschiedlicher Akteure aus Kunst, Stadtplanung und Bürgerschaft beschreibt.
„Corps in Situ in City“ heißt die faszinierende Kunstaktion der Französin Aline Brugel im öffentlichen Raum. Die whiteBOX holte das Projekt von Juli bis Oktober 2017 nach München
Über die Künstlerin:
Çagla Ilk hat Architektur in Istanbul und Berlin studiert und arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Urbanistik und Architektur. Seit 2012 ist sie als Kuratorin für interdisziplinäre Kunstausstellung im Berliner Maxim Gorki Theater zuständig, die internationale Positionen der bildenden, performativen und darstellenden Künste verbinden. Mit ihrer interdisziplinären-postmigrantischen Plattform „Büro Milk“ interveniert sie mit ortsspezifischen Performances in öffentlichen Räumen u.a. in Berlin, München und Istanbul. Sie ist im Präsidium des größten Berliner Kunstvereins »neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK)« und Mitglied im Rat für die Künste Berlin. Seit März 2016 ist sie in Kuratorium whiteBOX München.
Interview von Daniel Wiechmann
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Dieses Interview ist 2017 im Das WERK Magazin 01.17 erschienen. Der thematische Schwerpunkt des Magazins lag auf der „Urbanität“ und hat sich mit der Frage „In welcher Stadt wollen wir leben?“ auseinandergesetzt. Weitere Informationen zum Das WERK Magazin gibt es hier.