Am Samstag, 18. Januar, endete etwa zur Halbzeit des Festivals „Out of the Box“ die eingebettete Reihe „Digitale Poesie“ mit dem „futuristischen Klavierkonzert Pyanook in 4D“ von Ralf Schmid an zwei Flügeln, verfremdet und erweitert mithilfe zweier Datenhandschuhe, den Mi.MU Gloves.
Aus dem Projekt der “Digital Augmented Reality on the Grand Piano”, das Ralf Schmid 2016 im KUBUS-Studio des ZKM Karlsruhe vorgestellt hatte, war Pyanook geworden, zu Gast bereits bei der ersten Ausgabe des Festival letztes Jahr und das erste Mal in München in der whiteBOX.
Vom ZKM in die whiteBOX. Bereits das zweite Mal
Nach dem meditativen ersten Stück „Do Not Worry“, das sanft ostinativ, quasi mantrartig den Flügel zu betören schien, zieht Ralf Schmid die Handschuhe an und speichert während „Everything In Its Right Place“ eine Sequenz von Tönen und ein perkussives Streichen der Saiten beim Hineingreifen in den offenen Flügel.

Pyanook, Ralf Schmid (p), whiteBOX, Photo (c) Ralf Dombrowski
Die Daten kann er jetzt an verschiedenen Stellen des Handschuhs mit verschiedenen Funktionen zitieren oder verändern. Bewegungen der verschiedenen Finger, Drehungen der Hand, Zusammenballen zur Faust, Bewegungen der Arme nach oben und und unten und zur Seite addieren Hall, Distortions, Oktavierung, Cluster oder Basslinien. Das ganze Reich der DJ-Poticaps and -Knobs wird als Handschuh „wearable“ gemacht.
Bewegungssteuerungen: Die Tänzerin Cosima Dudel tanzt den Hall.
Zusätzlich wurde diesmal, bei diesem zweiten electronisch-digitalen Piano-Recital, die Vorbühne mit Sensoren bestückt, in deren Wirkungsfeld ebenfalls Klangveränderungen hervorgerufen werden konnten. Die Tänzerin Cosima Dudel wurde im „überwachten“ Gebiet mit ihren Bewegungen zur improvisatorischen Partnerin.
Wenngleich es für das Publikum nicht einfach war, zuzuordnen, wem die Bewegungssteuerung in der Entwicklung der Stücke an ihren effektvollen Stellen kausal zu verdanken war – der Tänzerin oder dem Pianisten, der Ansatz der 4D-Performance lud ein, darüber nachzudenken, wie der tanzende Körper selbst musiziert, beziehungsweise seine Bewegungen selbst als Partitur zu interpretieren wären. Oder der gestikulierende Körper. Die morgendlichen Menschenmassen in den U-Bahnschächten! Ein Horrorcluster?
Avantgarde ist nicht die Entwicklung neuer Technik zur Mainstream-Reife
Das ist Avantgarde! Der Aufruf, den Faden weiterzuspinnen! Am Schluss des Konzerts halten wir aber trotzdem alle inne. „Winterstill“ ist wie zu Beginn des Konzerts wieder ein eindringlich meditatives Stück. Der klassisch ausgebildete Ralf Schmid und Professor an der Hochschule Freiburg war immer ein Jazzfan.
Und er sitzt da, zusammengesunken wie Bill Evans und scheint der geballten schwarzen Kraft des Flügels zuzuflüstern, ein Dompteur. Wo führt uns der Faden hin? Sind wir in einem neuen Labyrint? Naja, wenn es so gut klingt
Autor: Michael Wüst