Die Poesie der Bastler. Synästhetische Spektakel, autopoietische Systeme, Selbstregulierungen, wie riecht grün?
Die Übersetzung des futuristischen Manifests in das Ballett Schwanensee, das unheimliche Tal, Superposition, Sensortechnik, die Macht des Augenzwinkerns oder das Ende des Determinismus?
Am 17. Januar eröffnete in der whiteBOX eine Podiumsdiskussion mit Lasertechnik-Tanz-Nachtisch die Reihe „Digitale Poesie“, diskursiv eingebettet zwischen die Festival-Großereignisse der gefrorenen und geschmolzenen Musik unter Wasser und Baustellenklängen unter schwebenden Konzertflügeln.
Die eingangs frei assozierten Begriffe standen so natürlich nicht direkt als Themen der Podiumsdiskussion an, sie entsprechen eher dem Trampolin-Parkour auf semantischen Feldern im Kopf des Schreibers dieser Zeilen, der sich durch die Diskussion äußerst angeregt fühlte, in sich so frei herum zu hopsen.
Was für ein Augenschmaus war doch schon die Eisbühne des Terje Isungset! Augenschmaus, da haben wir es ja schon, wie frech und frei ist doch die Sprache: zweckfrei kreativ!
Das Model IT soll alles richten
Und natürlich galt es nach gut zwei Jahrzehnten der digitalen Spielzeugproduktion (tool) immer wieder zu fragen, was macht das mit der Gesellschaft, wo doch die Digitalität, obskures Objekt der Begierde für die Politik, sich wie ein Parasit als Schnittstelle an allen möglichen Schaltstellen der Gesellschaft platziert hat.
Und so diskutierten in der whiteBOX Susanne Schmitt (Ethnologin, Bewegungssteuerung), Andreas Muxel (Hochschule Augsburg, Fakultät Design), Philipp Scholl (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Fakultät für Rechnerarchitektur) und Ralf Schmid (Pianist und Komponist, Hochschule Freiburg, Lehrstuhl Jazzklavier) mit Martina Taubenberger darüber, wie der ominöse Dolmetsch mit der 0 und der 1 die Kreativprozesse zwischen den Künstlern verändert und wie er heute beispielsweise das Fragen des Sponsoring imprägniert.
Wie an der ominösen Schnittstelle eventuell neu justiert werden muss, die Übersetzungspraktiken der digitalen Systemimmanenz neu zu hinterfragen wären. Wie Martina Taubenberger anmerkte, haben sich im Verständigungsprozess zwischen Künstlern und Vertretern der Wirtschaft durchaus verschiedene Positionen, Merkmale des Begriffs Kreativität eingeschlichen.
Die dolmetschende Digitalität deutet Begrifflichkeiten um. Digitale Hermeneutik
Während der Begriff der Kreativität auf der künstlerischer Seite im Feld der Freiheit daheim ist, gehört er auf Seiten der Wirtschaft zum Bereich Public Relation. Ist daran der Dolmetscher schuld? Oder wird er selbst instrumentalisiert? Oder gab es zwischen diesen Welten immer schon Verständigungsschwierigkeiten? Das Prinzip „Cui bono“ funktioniert allerdings ohnehin noch immer, wie Ralf Schmid, dessen künstlerisches Alter Ego „Pyanook“ am Samstag, 18. Januar in der whiteBOX zu erleben war, erzählt.
- Pyanook, Ralf Schmid (p), Cosima Dudel (dance), whiteBOX, Photo (c) Ralf Dombrowski
- Pyanook, Ralf Schmid (p), whiteBOX, Photo (c) Ralf Dombrowski
- Pyanook, Ralf Schmid (p), whiteBOX, Photo (c) Ralf Dombrowski
- Pyanook, Ralf Schmid (p), whiteBOX, Photo (c) Ralf Dombrowski
Der leidenschaftliche Arrangeur für große orchestrale Klänge und Professor der Hochschule Freiburg war auf der Suche nach einem Sponsor auf die Sensortechnik-Firma SensoPart, ebenfalls im Breisgau, gestossen und überzeugte letztlich den Inhaber durch die Organisation von Ausstausch und Dialog mit Studenten von seiner Hochschule. Das hörte sich wie ein netter analoger Handschlag an.
Eigentliche alle, aber auf jeden Fall Muxel, Schmitt und auch Scholl von der technischen Seite her beschreiben jedoch, dass im Umcodierungsprozess von etwas Lebendigem in die digitale Nomenklatur sozusagen Ballaststoffe des Vitalen verschwinden, die anschließend irgendwie wieder in das Produkt hinein komplimentiert werden müssen. Man verliert eben, wenn man das Ganze nur durch seine Struktur repräsentiert. Die Struktur ist nicht das Ganze.
Hat der Zug den Fortschrittsbahnhof verlassen? The red light was my mind.
Hier wäre der Clou gewesen auf die wissenschaftlichen Fragen zu leiten, ja, sogar auf die politischen. Digitalität und Elektromobilität, zwei Züge, die schon vor etwa einem Jahrzehnt die Schaltstellen des Politischen relativ unberührt (fehlende Sensortechnik im menschlichen Bewusstsein) passiert haben, sind heute doch noch zu den Megastars einer millenaristischen Erlösung geworden. Große Zweifel bestehen.
Beide Technologien katapultieren den Energiebedarf ins Unermessliche, der Ausbau von Servern und ein flächendeckendes Netz von Ladestationen ergeben in der Spitze einen Strombedarf, der in hundert Jahren nicht vorgehalten werden kann.
Überhaupt der Wahrheitsgehalt – eigentlich reicht schon der Wirklichkeitsgehalt – des deterministischen Denkens? Die vermeintliche Existenz der Null? Damit wird man sich in dieser Gegenwart, die sich gerade so panikartig vor der Zeit in Zukunft verwandelt, beschäftigen müssen.
Nicht dass es demnächst wieder heißt, wenn der Zug der Quanteninformation und der Wasserstoffbrennzelle durchgefahren ist: Sorry, the red light was my (foolish) mind.
Zum Abschluss ein dramatisches Bild der Distortion, Verzerrung
Die Tanzperformance „Distorted Vanity“ von Rick Rummler & mayr + empl zum Abschluss lieferte dazu ein prägnantes Bild von Gefangenschaft in technischer Vermessenheit. Es ist eine Art Schattengefecht des Lebendigen (Tänzers) mit einem technischen Tool.
Das Tool aus der Lasertechnik peilt mit drohnenhafter Gnadenlosigkeit den Tänzer an und umspielt kubistisch aggressiv den an der Rückwand rastlosen Schatten des Lebendigen. Nur dort in seinem eigenen Schatten findet der Gejagte kurze Ruhe. An den Aussenseiten wird klanglich untermalt.
Zwei dystopische Stummfilmmusiker auf gestrichenen Metallflächen und Metallstäben lassen das Metall dramatisch aufschreien. Jede japanische Produktion hätte diese Sounds für das Auftauchen von Godzilla im Hudson River gekauft. Man kann nicht umhin, man hat Mitleid mit dem Tänzer. Mit dem Leben?
Für Out Of The Box gilt, Bilder und Diskussionen werden weitergehen, auch wenn dereinst der erste autonome Leichenwagen unfallfrei zum Zentralfriedhof gelangt sein wird und als Lohn dafür für künftige e-mobile Armeen der Wald in Thüringen abgeholzt werden kann.
Für die Programmpolitik der whiteBOX sind Nachhaltigkeit, kontinuierliche Kooperationen mit den künstlerischen Partnern („Stay in the Box“) und ein feiner Sensor für Signale aus der Zukunft kennzeichnend, entscheidend und Arbeitsvoraussetzung.
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Autor: Michael Wüst