Der Literat und bildender Künstler Martin Rosenthal arbeitet in seinem Atelier im dritten Stock des WERK3 intensiv an seiner Form eines Raumgedichts, einer Art visualisierten Klangs. In einer aufwändigen 3D-Anordnung verschmelzen bei Rosenthal vorzugsweise Szenen von Welt und Zeit im kosmischen Dunkel mit einem „Teilchen-Theater“ vom Neutrino bis zur Supernova und es entwickeln sich visionäre, philosophische Märchen. In einem stetig pusierenden Karma treiben Formen und Figuren auseinander und ineinander, verschränken sich und gebären sich gegenseitig. Mittels einer 3-Kanal-Bespielung dreier Beamer, projiziert Rosenthal auf eine 3D-suggerierende, im 120 Grad-Winkel gekehlten Screen seine Abenteuer in Wort und Bild.
Sind es seine? Entstehen sie gerade? Erschaffen sie sich gerade selbst? Wir dürfen sehen, meditieren und lassen uns mitnehmen in diverse Streams & Strings of Consciousness. Die sonore Stimme des Erzählers, im Duktus eines homerischen Cantus, kommentiert eigentlich nicht, sie folgt dem Geschehen auch nicht nach, sie ist eher eine zeitgleiche, sprachliche Version des Bildes.
Der Wahrnehmende fühlt sich teleportiert über Landschaften und durch Stadtsilhouetten mit alltäglichem Personal von Maikäfer, Mensch und Elefant, nebst kosmischem und subnuklearen solchem. Die unermüdliche und gleichmütige Verwandlung von Jedem in Alles und zurück entwickelt den Sog eines Mantras. Der Erzähler reportiert in lyrischer Synthese, spricht in assoziativer Schau von Astrophysik, Yin und Yang und Supersymmetrie und über den Weg seiner Astro-Protagonisten von Milbertshofen nach Freimann, Schwabing, zur Venus und mittels Wurmlochpforte ins Zentrum eines schwarzen Lochs bei gleichzeitigem Zeitstillstand. Gleichzeitiger Zeitstillstand? Ist auch hier etwas verdoppelt? Aber schon hat sich diese Frage erneut verwandelt. Im kosmischen Tanz geschieht alles ohne Kühnheit und Hast, ohne Gesetzestafel oder Moral. Cantus und Bild schwingen gleich, pulsieren scheinbar in Einheit, synchron. Und die Teilchen, wir lieben sie doch, die Neutrinos, die Quarks, die Higgs-Bosone, die Photonen.
Wir lieben sie so wie Schöpfungskonfekt, wie Leckereien aus Gottes Konfiserie. Es würde nicht überraschen, wenn ein goldenes Haribobärchen ein Higgs-Boson repräsentieren würde oder Cognacbohnen die Photonen beim Doppelspaltversuch. Hier in seiner neuesten Arbeit „Die Avadrohnen“ sind es aber die „Para-Dice“, Tetraeder mit roten und blauen Punkten und Kreisen darin. Animiert wurden diese „Alea“, die die erste Würfelform der alten Römer waren, von Götz Bennewitz, der für alle Videos von Rosenthal die Figuren und Zeichen geschrieben hat.
Mit Glanz und Glasur und eigentümlich appettitlicher Präsenz vollführen die „Para-Dice“ in den Verschmelzungen ihrer inneren Genetik eine weiche sphärische Konstruktivität, die etwas von der Op-Art hat. Es entstehen Bilder von großer Leuchtkraft. Man fühlt sich wohl in einem kosmischen Tanz amoralischer Schönheit. Die Würfel des neuen Videos „Die Avadrohnen“ beschäftigen Martin Rosenthal bereits seit dreissig Jahren. Damals hat Martin Rosenthal nämlich diese Tetraeder mit den verschiedenen blauen und roten Kreisen und Punkten im Inneren bereits entworfen und in Glas gegossen. Aus unterschiedlicher Farbe etwa eines Kreises in der Grundfläche, ergibt sich eine Drehung der anderen Elemente im Tetraeder.
Daraus beschreibt Rosenthal 12 Charaktere, die den Prinzipien von Yin und Yang zugeordnet werden. Je nachdem wie die Para-Dice dann beim Würfeln zu liegen kommen, ergibt sich für die Lage wiederum ein eigenes Deutungsfeld. Ohne das weiter allzu trocken darlegen zu wollen, am Ende entsteht für das Würfelergebnis ein komplexe Möglichkeiten der Interpretation, was Rosenthal in hunderten von Orakeln zusammengefasst hat. Wie nun das Würfeln in der Animation des Videos zu interpretieren wäre? Hier gibt jeder rationale komplett Geist auf und wie wir wissen, auch Gott würfelt nicht. Uns bleibt nur eine Meditation über und in Schönheit. Und so etwas wie die Ahnung eines supersymmetrischen Entwurfs einer unbekannten Wirklichkeit.