Wenige Tage nach der Stroke Art Fair in der Zündapphalle konnten die Münchner auf der Praterinsel bei der ARTMUC 2017 überprüfen, was vielleicht zu einem Gesamtüberblick der Emerging Contemporary Art zu ergänzen wäre. Zum Beispiel durch die whiteBOX.
Auch hier hat die Kunsthalle des WERK3 also Spuren hinterlassen. In zwei Dunkelkammern des Nebenhauses, das schon traditioneller Weise Experimentelles und Installationen beherbergt, hat Benjamin Lautzen, der Mann für´s Digitale in der whiteBOX, Arbeiten seiner Ausstellungen im WERK3 untergebracht.
„Everything is a Remix“ und „Selfciety“ in der whiteBOX thematisierten die Veränderungen einer menschlichen Substanz, genannt Originalität, in Zeiten der digitalen Schnippselcollagen, der Verschmierungen und Stauchungen durch Mash Up-Techniken, schließlich der Atomisierung des Ich durch das Selfie. Man stolpert fast über ein desolat wirkenden Arrangement von Flachbildschirmen am Boden.
Gretta Louw´s „The Face-Swap Archive (2017)“ zeigt Gesichter, von denen die Umrisse erhalten blieben, aber Augen durch Eiskugeln ersetzt wurden oder Münder verdoppelt. Die Gesichter werden mit beliebigem Zivilisations-Alltäglichkeiten versetzt, geswapped, zu einer anderen Kenntlichkeit verfremdet. Eine seltsame, verglühte Lagerfeuerromantik des Digitalen. Identität, ein verblassender Mythos in der Collagierung von Allem und Jedem. Auflösung als Prozess spielt die Rolle in „Tears in Rain“ von Jeroen Cluckers. Ausschnitte aus dem Kultfilm „Blade Runner“, dem Film, in dem es immer regnet, zeigt Gesichter, die sich durch „Datamoshing“ verflüssigen. Sein „Visual Poem“ lässt die Konturen verflüssigen oder schmelzen. Kurzfristig scheinen apokalyptische Jenseitigkeiten, sarkastische Totenschädel durchzublicken, alles in anmutigem, impressionistischen Gestus.
„Shell Performance“ von Martin Reiche versucht in zerstörten Festplatten, die er auf einem Elektronikschrottplatz in Ghana gefunden hat, Bilder, Informationen wiederherzustellen. Dafür wurde eine eigene Software geschrieben, die in dem unbrauchbaren Müll, Andeutungen von Pornografie und Gewalt auzulesen scheint. Die rastlosen Datentexte überdecken schnell wieder den Ansatz einer Spur. Letale Abdrücke von Existenz. Eine digtale Version des Filmthemas in „Blow Up“ von Antonioni. Wer sich durch das Laser-Grafik-Programm von „Distorted Vanity“ verzerren und verzieren lassen will, kann das im zweiten Raum tun. Das futuristische, wildzackige Programm von mayer + empl diente in der whiteBOX der optischen Gestaltung einer Danceperformance. Wie die Zielauffassung eines Feuerleitsystems hält das Programm den Tänzer in jeder Bewegung und in jedem Moment fest im Visier.
Die Produzentenmessen ARTMUC und Stroke Art Fair bemühen sich erfolgreich um Gratwanderungen des sogenannten Niveaus, über das sonst Kuratoren-Halbgötter entscheiden. Neben den klassischen Comic-, Airbrushartigen Exponaten der Street-Gründerzeit waren auch Vertreter der ungegenständlichen klassischen Malerei zu sehen. Die Szene ist in Bewegung.