
Geoffrey Lillemon, The Nail Polish Inferno @ La Villette, Virtual Reality Retrospective Strip Club Nightmare set in Bubblegum Hell, 2016, artistic VR experience, courtesy the Artist
Im Rahmen des FNY-Festivals mit seiner monumentalen kubik-Arena von 273 leuchtenden Wassertanks gibt es derzeit bis zum letzten Tag des Festivals, dem 10. September, in der whiteBOX die Virtual Reality-Ausstellung „Uncanny Conditions“ zu sehen.
Im schummrigen Raum sieht man dort im Bereich von vier Screens Menschen mit VR-Brille stehen, die blind für die reale Welt, zögerliche Bewegungen machen, offensichtlich beeindruckt von der massiven Immersion der Bilder, die durch ihre Köpfe strömen. Hier purzeln allerdings nicht die Shreks, die Avatare aus dem Aufbruch nach Pandora, die Kreuzritter der Assasin Creed-Spiele oder gar das Urmel aus dem Eis durch das Bild, besser gesagt durch den gesamten Umraum des Bebrillten, sondern hier stellen vier Künstler, Künstlergruppen ihre Virtual Art vor. Mit dem Begriff „Uncanny Valley“ wurden wir auf dem Gelände, als es noch Kultfabrik hieß, bereits im Werk 1 konfrontiert. Das „Unheimliche Tal“ oder fachlich auch die „Akzeptanzlücke“ bezeichnet ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen. Je genauer nämlich die Humanoide oder Avatare aufgrund von immer größeren Datenmengen dem Menschen oder seinen längst akzeptierten Abbildern von Fotografie oder Film kommen, umso mehr beschleicht den Beobachter ein Gefühl des unheimlich Fremden. Wie wir wissen, stimmt ja unser Spiegelbild bereits nicht – wirklich. Im Islam war lange die Fotografie geächtet, weil sie angeblich die Seele des Menschen zu bösen Zwecken fixieren könne. Dennoch ist die Geschichte der Kunst auch eine Geschichte der Täuschungen und Fälschungen. Die Anamorphose in der Malerei ist so ein Beispiel. Versteckte Bildbotschaften werden nur entdeckt, wenn man das Bild unter einem extremen, ungewohnten Blickwinkel betrachtet. Die Wirklichkeit, das was wirkt, muss nicht die Wahrheit sein. Die Wirklichkeit ist eine Vereinbarung. Die alten Griechen hatten kein Wort für blau. Das Meer schäumt bei Homer weinrot. Und es ist anzunehmen, dass es damals bereits genauso blau war wie es heute blau ist.

Salome Asega, Reese Donohue and Tongkwai Luli, ASM(V)R, 2017, artistic VR experience, courtesy the artists
Die Arbeit ASM(V)R von Salome Asega, Reese Donohue und Tongkwai Lulin arbeitet fast therapeutisch mit beruhigenden Bildern und Stimmen. Sie wurde bereits im MoMA PS1 ausgestellt und beschäftigt sich mit Intimität der ASMR-Gemeinde auf YouTube. Die „Autonomous Sensory Meridian Response“ bezeichnet sensorische Reize auf der Haut, die durch Bilder und Sounds ausgelöst werden. Eine Meditation in einem Raum künstlicher Appetizer. Weniger bedenklich als Geschmacksverstärker in der Nahrungsmittelindustrie.
Wesentlich burlesker und lebhafter geht es schon zu in „The Nailpolish Inferno“ von Geoffrey Lillemon. In seiner virtuellen Table Dance Bar treffen sich Protagonisten vergangener Arbeiten zu einer Party, die nun wirklich von einer brachialen, uncanny Opulenz ist. Hier, in einem immer wieder durch Gitterstrukturen hin und zurück flutendem Raum, tauchen Hieronymus Bosch-artige Wesen der digitalen Existenz auf, die einen mit ihrer sarkastischen Art in Schach halten. Hier bewegt sich der Bebrillte auffallend häufig.

Martina Menegon, plug your nose and try to hum, 2017, virtual reality installation, courtesy the Artist
Martina Menegons Arbeit „plug your nose and try to hum“ präsentiert in multiplen Version im Raum schwebend ihren Datenkörper, der mittels eines Controllers in der Hand verformt werden kann. Die Avatare ihres Körper summen in verschiedenen Tonhöhen. Portishead-artige Wehmut umgibt die verformbaren Körperzustände, in deren Aufforderung zur Berührung etwas von einer völlig fremden Verletzlichkeit liegt.
Jakob Kudsk Steensens „Aquaphobia“ bereichert das große menschliche Traumthema des Wassers, als Ort der Geburt, des Todes und der Lust. Er stellt in dystopischen Water-Torture-Szenarien das Problem des Klimawandels in den Raum und entwirft Zukunftsbilder einer dereinstigen Archäologie in gefluteten Städten. Man taucht durch Wasserstraßen Brooklyns, irritiert und lustvoll. Vorlage ist der Park Louis Valentino Jr. und der Pier in Red Hook Brooklyn. Daraus entsteht ein skaliertes Modell, verbunden mit Satellitenaufnahmen und Fotogrammetrie. Ein warnender Blick in die zukünftige Archäologie. Hier lebten Menschen. Die Welt ist eine Verabredung – vor allem zur Vernunft.