Ein Rückblick- wieder verabschiedet sich ein Jahr und geht ins Land, vieles geschah und wuchs im neuen Werksviertel-Mitte.
Was es da eigentlich soll, weiß keiner, wahrscheinlich, weil sich keiner diese unwichtige Frage stellt. Nach einem Rückblick auf das jeweilige Jahr nimmt das Interesse an ihm als ganzem langsam ab und nur die einzelnen, beeindruckensten und schrecklichsten Daten halten sich und werden historische Marken.
Bei einem Rückblick auf unser Jahr 1 im Werksviertel wollen wir aber neben den kolossalen auch kleinere Ereignisse festhalten und vor dem Vergilben bewahren. Es war ja schon eine Zeitenwende, für uns und für München.
Die Münchner Erinnerung, das Archiv der Monacensia wird im renovierten Hildebrandhaus gleich eine eigene Abteilung einrichten für DAS Werk-Ereignis dieses Jahres!
Was mit dem neuen WERK3 begann, das in größerer Höhe auf dem Rosenheimer Berg über den Gasteig ragt und in die City schaut, ist schon so beeindruckend und vielfältig, dass man noch gar nicht abschätzen kann, welchen Schub es in 2017 noch bringen mag, wenn mit dem WERK4 das Hotelhochhaus im Rücken des WERK3 mit 26 Stockwerken hochwächst- neben dem WERK12 als Fitness- und Wellnesscenter, dem Backstageanbau für TonHalle und Technikum und der letztlich abgeschlossenen Container-City. Und wenn dann irgendwann bis zu sechs Kräne auf dem Gelände stehen und voller Betrieb mit Gästen und Publikum „under Construction“ gewährleistet sein soll. Alle zwei bis drei Tage müssen da neue Routen für die Besucher geplant werden. Aber das hatte eben schon heuer einen ganz eigenen Reiz, neben den Baugruben, den halbabgerissenen Gebäuden und neben den Baumaschinen in die Konzerte, Ausstellungen und Bars zu gehen.


Bereits im Januar 2015 nach der letzten Halloween-Party hatte sich in kalter Nacht das WERK3 in anderer Weise gezeigt: Blau leuchtete der bis aufs Skelett reduzierte Kasten bei der „Langen Nacht der Architektur“ und glich schon irgendwie einem Schiff, einem Kreuzer. Noch standen im Zentrum die Discotheken, schräge Platzhalter für ein späteres Konzerthaus.
Ein weiterer Rückblick: Im darauf folgenden Winter verhüllte sich das WERK3 und wechselte mehrere Anstriche, bis sich im Frühjahr 2016 wieder einmal das bewährte Pfanni-Orange durchgesetzt hatte.
Als eigene Zufahrt von der Friedenstraße wurde die Atelierstraße fertig und das riesige Loch der Tiefgarage schloss sich, 14 Ateliers um das Ausstellungs-Flaggschiff der neuen whiteBOX wurden bezugsfertig. Artists First, Credo der Stadtumwandlung, rief 24 Künstler, zum größten Teil aus dem städtischen Atelierhaus an der Baumstraße auf den Plan.
Manche Aufzüge gingen noch nicht, mit extra gelegtem Baustrom richteten die ersten sich ein.
Am 9. Mai begann der Umzug der Kommunikationsagentur Avantgarde und seit Anfang April bereits richtete sich Fox Networks ein und Ende April hatte der Künstlerbedarf boesner eröffnet. Was dem ganzen Viertel aber den mächtigsten Schub verlieh, datierte zurück in den Dezember 2015:
Die Bayerische Staatsregierung wählte das Werksviertel als neuen Standort für das lange schon ersehnte neue Konzerthaus und die Musikhochschule aus, was aber erst noch im Februar 2016 durch die CSU-Landtagsfraktion bestätigt werden musste.
Am 11. Mai fand dann eines der Baustellen-Events dieses Jahres statt. Unter starker Beteiligung auch überregionaler Medien bediente Werner Eckart selbst den Bagger, um mit dem Wegreißen des Khoi-Diskoschilds das Ende von
„Europas größtem Partyareal“ symbolisch einzuleiten. Da schien ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen zu sein.
Der Geländechef war in der Tat nicht geneigt, es bei beim Symbolhaften bewenden zu lassen, mit zunehmender Sicherheit und sichtlichem Vergnügen riss er Teil um Teil ab, Holz splitterte, Fassade bröckelte bis ein halber Eckzahn aus der ehemals „Biggest Area“ herausgebrochen war.
Tags zuvor hatten die Bagger bereits das überdimensionale Q der gleichnamigen Großdisko abgepflückt und aus Mauerlöchern starrten „Latinos“ und „Kursschmiede“ auf das Feld der Verwüstung. Die riesige Baustelle wurde größtenteils mit hohen Bretterzäunen umgeben, was natürlich Loomit und Graffiti-Kollegen schnell auf den Plan rief.
Ein langjähriger Freund von Loomit, „Codeak“, bürgerlich Daniel Man, Meisterschüler von Akademie-Prof Markus Oehlen, war mit der Akademie Wildkogel als Coach für die Sprayerei ins WERK3 gekommen und gab an diesen Bauzaunflächen Workshops. Ein Rückblick, der hinterlassene Spuren noch einmal hervorhebt.
Und es ist schon ein bemerkenswerter Zufall, dass gerade an diesen Tagen im Sommer der international berühmte Cellist Daniel Müller-Schott hier seinem Freund „Codeak“ begegnete und – wen wundert´s, selbst ein Sprayer – zusammen mit ihm einen Melbourne-Gruß 2016 gestaltete. Dort wird Müller-Schott nächstes Jahr mit dem Melbourne Symphony Orchestra spielen. Wow, wir freuen uns allein schon deshalb auf den Rückblick 2017!
Tatsächlich, irgendwann wundert´s einen nicht mehr, dass gerade die Symphoniker Spaß an dem Gelände haben. So wie Yo-Yo Ma, ein Topstar des Cellos, der hier im Technikum bereits im Januar Meisterkurse vor Publikum gab.
Die Mischung aus Sub- und Hochkultur macht´s eben, da sind die Kreativen sich völlig einig. Ganz in diesem Sinne das Baustellen-Highlight des Jahres überhaupt:
An einem herrlichen 8. Juli organisierten Markus Wiegand und Rebecca Bauer, die Kommunikationsstrategen des Geländes, die Veranstaltung 7:2. – Kein Ergebnis eines erfolgsverwöhnten Münchner Fußballvereins, sondern eine Begegnung der symphonischen Hochromantik mit zwei Sprayern.
Anton Bruckners 7. Sinfonie erklang live geschaltet aus dem Herkulessaal mit den Symphonikern unter Leitung von Yannick Nézet-Seguin auf großen Monitoren vor den Bauzäunen, an denen Loomit und HNRX ihre Graffiti-Positionen dazu abgaben.
Das ganze Szenario war in mehrfacher Hinsicht kongenial. Und noch einmal laufen einem Schauer der Begeisterung bei diesem Rückblick über den Rücken. Schon der erste Satz mit seinem schwermütigen E-Dur schien den Tag in den Abend zu verwandeln. Ein bedeutungsvolles Abendrot, vor dem die Greifarme der Bagger sich würdig herabneigten, dazu das leise Geräusch der Spraydosen.
Eigenartig zusammenpassend. Eine dramatisch schöne Performance, eine Baustellen-Kunstaktion und ebenfalls verblüffend unter einem anderem Aspekt von hohem Symbolgehalt. Anton Bruckners größte Erfolge in München, wie solche von Richard Strauss und Johannes Brahms sind verbunden mit dem legendären Konzertsaal Odeon am Wittelsbacherplatz, heute Sitz des Bayerischen Innenministeriums.
Das königliche Odeon war eine „Sing-, Lese- und Tonhalle“, sein größter Saal hatte 1000 Plätze, außerdem beherbergte es die Musikhochschule. Hier gab es nicht nur klassische Musik, sondern auch Tanz- und Unterhaltungsmusik, sogar Bälle!
Ein Zeitgenosse schrieb 1842: „Dieser unser Streck [ein populärer Militärmusiker] hat also die Idee der Maskenbälle aufgefaßt und sie auf eigene Kosten vom Hoftheater ins Odeon verpflanzt. Auf erhabenem Orchester spielt er da seine Walzer, seine Polkas und Galoppaden, und unten in der Prachthalle tanzen die Jungen und die Mädchen fröhlich auf glattem Boden. Die Damen sind wohl alle und von dem Männervolke wenigstens die Tanzenden aus jenen Klassen, die man in der feineren Gesellschaft vermißt“ (zit. nach V. Laturell, Volkskultur in München, München 1997, S. 272).
Ein Zeitgenosse schrieb 1842: „Dieser unser Streck [ein populärer Militärmusiker] hat also die Idee der Maskenbälle aufgefaßt und sie auf eigene Kosten vom Hoftheater ins Odeon verpflanzt. Auf erhabenem Orchester spielt er da seine Walzer, seine Polkas und Galoppaden, und unten in der Prachthalle tanzen die Jungen und die Mädchen fröhlich auf glattem Boden. Die Damen sind wohl alle und von dem Männervolke wenigstens die Tanzenden aus jenen Klassen, die man in der feineren Gesellschaft vermißt“ (zit. nach V. Laturell, Volkskultur in München, München 1997, S. 272).
Da sehen wir uns doch in diesem Sinne im Werksviertel in vornehmer Gesellschaft!
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