„Everything Is A Remix“, die erste Ausstellung in der neuen whitebox ist eröffnet. Benjamin Jantzen, selbst VJ und zukünftig als Kurator für Neue Medien in der whitebox tätig, hat Videos und digitale Installationen unter den Aspekten der Wiederverarbeitung von vorhandenem Material zusammengestellt. Von knapp 40 eingereichten Projekten aus 20 Ländern wurden 12 Arbeiten ausgewählt, die fest im Raum installiert sind oder auf einer der zahlreichen Veranstaltungen bis zum 7. August erlebt werden können.
Physisch oder digital vorhandenes Material, das gesampelt, remixt, mashed up werden kann, ist grundsätzlich in den seltensten Fällen frei verfügbar. Es hat in der Regel einen Urheber, beziehungsweise die Verwertungsrechte sind an einen Lizenznehmer, beispielsweise die Gema abgetreten. Der Titel der Ausstellung bezieht dazu provokativ Stellung, insofern als er die individuelle Originalität der künstlerischen Schöpfung, des Werks kreativ in Frage stellt. Damit wirft diese Ausstellung, jenseits ihrer Exponate eine grundsätzlich sehr heiße Frage auf, denn der Streit um das Urheberrecht hat sich zu einem der zentralen Konflikte der digitalen Gesellschaft entwickelt.
Mit dem Buchdruck beginnt die Frage nach dem Urheberrecht
Eine ähnliche Entwicklung wurde schon einmal durch die vergleichsweise ebenso revolutionäre Entdeckung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts ausgelöst. Verlage, Drucker, Autoren waren ohne jeden Schutz den Raubkopieren ausgeliefert. Das ermöglichte Shakespeare, dem Schwan aus Stratford upon Avon, seinen Aufstieg zu einem der genialsten Plagiatoren aller Zeiten. Noch heute erscheinen pro Jahr noch etwa 6000 Publikationen zum Phänomen Shakespeare. Er hat bei allen geklaut, bei den antiken Autoren sowieso, aber wohl auch bei Christopher Marlowe, Francis Bacon und Ben Johnson. Und diesem Umstand ist es auch zuzurechnen, dass die Verschwörungstheorien hinsichtlich der Autorenschaft des größten Dramatikers ins Kraut schießen. Wer war das eigentlich, der doch aus allen anderen bestand? Die Liste der erfolgreichen Plagiatoren ließe sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzen. Berthold Brecht zum Beispiel, der sich ausgiebig bei Francois Villon bediente und der wie kaum ein anderer auch heute noch, vertreten durch seine Erben peinlichst auf seine Urheberrechte besteht. Andererseits, die Ideen der Aufklärung, zu denen auch das Urheberrecht, für das sich Immanuel Kant einsetzte, wären in Europa nicht „viral“ geworden ohne die Raubdrucke. Das Urheberrecht entstand also, vor allem auch als ein Recht der Verwerter. Unstrittig ist und bleibt, es gibt geistiges Eigentum. Heute geht es oft um die Rechte an digitalen Schnipseln. Vor Kurzem entschied dazu das Bundesverfassungsgericht und korrigierte damit eine vorherige Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Der Sampler Moses Pelham gewann gegen die Kultband Kraftwerk: demnach war es also statthaft, einen Zwei-Sekunden-Ausschnitt von Kraftwerk herauszunehmen und ihn einem Song von Sabrina Setlur als Loop zu unterlegen. Bei normaler Geschwindigkeit unter 120 BPM entspricht das etwa einem Takt. Dieser Größenordnung wurde früher in Bushido-Prozessen Werkscharakter zugesprochen, Bushido verlor da noch. Für die digital Kreativen sind Kraftwerk heute die Überspießer, die ja auch gegen ein stromerzeugendes Kraftwerk wegen Verletzung des Markenschutzes geklagt hatten. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls hat weise im Sinne der Kreativen entschieden. Sampling ist eine Grundvoraussetzung für die Hip Hop-Kunst. – Dies nur als kleiner Ausflug in die juristischen oder juridischen Dickichte, die uns heute oftmals den Blick auf den künstlerischen Horizont verstellen.

Refait
Die Arbeiten der Ausstellung selbst, hauptsächlich Videos, sind ruhig und unaufdringlich verteilt, Kopfhörer an den einzelnen Stationen. Trotz der ungeheuren Bildmenge kann man sich entspannen und einiges entbehrt nicht der Komik. „Refait“ der Künstlergruppe Pied La Biche kombiniert Originalbilder der Fußballweltmeisterschaft 1982 zwischen Deutschland und Frankreich links mit einem Reenactment der einzelnen dramatischen Szenen durch Mitglieder der Gruppe auf verschiedenen Stadtarealen, rechts. Konzentration, Anlauf, Torschüsse werden auf eine witzig stille und lapidare noch einmal nachgespielt und auch verfremdet. Zusammen mit den O-Tönen des Kommentators genießt man den feinen Witz eines abgeflauten National-Traumas.
„Shockwaves“ von Kasumi, Guggenheim Fellow des Jahres 2011, Bildende Künstlerin, Musikerin, Performerin und Schriftstellerin, ist ein überbordender 80-minütiger Bilderrausch. Aus 25.000 Filmschnipseln des amerikanischen Public Domaine Archive hat sie, einer vorher geschriebenen Dramaturgie gemäß, die Geschichte eines Mannes figuriert und fiktioniert, der in den Kavernen eines Unterbewusstseins wandert, das den Protagonisten der Schnipsel gehört, aber zu seinem Schicksal in der Vergangenheit wird. Die willkürliche Übernahme fremder Angst, unbekannter Personen, die aus einer „Found Footage-Welt“ auftauchen, konstruiert eine Unterwelt, die der Mann, der selbst ein Unbekannter ist, als sein Unterbewusstsein erkennt. Und das sind natürlich wir, die Betrachter. Raffiniert, verführerisch unheimlich. Erinnert an Lautreamonts Surrealismussatz: „Schön wie die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch“, womit ein junger Mann gemeint war.

Jeroen Cluckers
„Tears In Rain“ von Jeroen Cluckers, ebenfalls eine Videoinstallation, arbeitet mit Ausschnitten aus dem Sci-Fi-Kultfilm „Blade Runner“, jenem Film, in dem es immer regnet. Der Filmemacher bezeichnet seine filmische Malerei als „Visual Poem“. Die Regenwand, hinter der die Gesichter schwimmen, erinnert an impressionistische Malerei, wie etwa “ Un bar aux Folies Bergère“ von Manet, wo die Besucher im Hintergrund wie Versunkene wirken. Die Technik der Konturenverflüssigung ist „Datamoshing“, eine Methode der Datenfragmentierung.

Marin Reiche
„Shell Performance“ von Martin Reiche geht einen ganz anderen Weg. Hier wird der Versuch gemacht, etwas Zerstörtes, Korrumpiertes wieder einzulesen wie die Black Box eines abgestürzten Flugzeuges. Eine digitale Exegese. Für die drei Festplatten, die auf einem Elektronikschrottplatz in Ghana gefunden wurde zum Dechiffrieren und Visualisieren eine eigene Software geschrieben. Auf den drei Monitoren dieser Softwareinstallationen laufen eilige Postscript-Befehle und MP3-Daten, schemenhaft wie letale Abdrücke formen sich darunter sexuelle Botschaften und Sequenzen. Die scheinbar sachlichen Datenbefehle fühlen sich an wie kalte Empörung. Sie sind imprägniert von Gewalt. Beeindruckend.